Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord zur Geisterstunde

Mord zur Geisterstunde

Titel: Mord zur Geisterstunde
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
gelungen.
    »Gut. Also hat jemand ihre Ladyschaft abgemurkst.«
    Honey korrigierte sie nicht. Denn unter Umständen hatte sie recht.
     
    Als die beiden wieder im Green River eintrafen, saß Lindsey am Schreibtisch und surfte im Internet. Der Schreibtisch war eine Maßanfertigung. Über der Schreibplatte waren offene Fächer angebracht, die vor den Augen der Gäste verborgen waren, aber in Reichweite des am Empfang arbeitenden Personals lagen. Kaum hatte Lindsey ihre Mutter erblickt, zog sie schon aus einem der Fächer eine halbe Flasche Shiraz und ein leeres Glas hervor.
    Honey spürte sofort, wie eine Welle der Entspannung über sie hinwegschwappte. »Wie gut mich meine Tochter doch kennt.«
    »Aber erst mal das hier!«, ordnete Lindsey an und reichte ihr ein Handtuch.
    »Ich hab rein gar nichts gesehen«, erklärte Mary Jane betrübt, während Honey sich das Haar trocknete.
    Mit dem um den Kopf geschlungenen Handtuch ließ sich Honey einen Schluck Wein auf der Zunge zergehen. »Ich dagegen habe jemanden verschwinden sehen.«
    »Man kann niemanden verschwinden sehen. Wenn Leute verschwinden, kann man sie nicht mehr sehen«, verbesserte Lindsey sie. Ihre Tochter konnte gut mit Worten umgehen.
    Mary Jane hingegen ließ sich von Begriffen wie »Spuk« und »unsichtbar« leicht beeindrucken. Besonders gut fand sie das Wort »verschwinden«. Augenblicklich riss sie erstaunt Mund und Augen auf.
    Honey tippte auf die Tasche, die ihr nun anvertraut war. »Ich |25| muss mich wohl bei der Queen dafür entschuldigen, dass ich die englische Sprache so unvollkommen beherrsche. Also, dann lass mich mal erklären. Eine Frau ist auf dem Gespensterspaziergang verschwunden. Diese Tasche ist alles, was von ihr noch da ist.«
    »Ja«, sagte Mary Jane und klappte den Mund wieder zu. »Na türlich ist sie nicht verschwunden. Nicht buchstäblich. Sie ist einfach verloren gegangen. Aber ich, ich habe nichts gesehen«, wiederholte sie bestürzt, weil sie mit keinem einzigen Gespenst, Poltergeist oder Kobold hatte Kontakt aufnehmen können.
    »Hat Cedric dir schon zum Geburtstag gratuliert?«, erkundigte sich Lindsey.
    Mary Janes Lächeln brachte Hunderte von Fältchen zum Vorschein. »Ich denke, er wird mir ein Ständchen singen.«
    »Herzlichen Glückwunsch, Mary Jane. Träum was Schönes«, sagte Lindsey.
    »Herzlichen Glückwunsch, und vielen Dank für den tollen Abend«, fügte Honey hinzu.
    »Toll?«, murmelte Lindsey mit gezwungenem Lächeln.
    »Nass«, zischelte ihre Mutter zurück.
    Lindsey war eine jüngere Ausgabe von Honey, mit Ausnahme der Haarfarbe, die je nach Jahreszeit wechselte. Lindsey wirkte sportlicher, hauptsächlich weil sie Spaß an Bewegung hatte, Honey dagegen nicht. Der reichte ein wenig Salsa im Schlafzimmer vollkommen. Lindsey dagegen ging lieber zum Joggen.
    Mary Jane machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Sie sah ein bisschen aus wie Batman, wenn auch die Leggings um die knochigen Knie herum leicht ausgebeult waren und das Cape aus rosa Angorawolle keinerlei Batman-Insignien aufwies.
    »Also, dann erzähl mal deine Geschichte!«, forderte Lindsey ihre Mutter auf, sobald der einzige ständige Hotelgast die Treppe hinaufgeschwebt war.
    Honey stützte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte und legte das Kinn in eine Hand. Sie schwenkte den Wein im Glas und schaute zu, wie er auf und ab schwappte. »Erst ging eine Frau neben mir, und im nächsten Augenblick war sie weg.«
    »Eine nette Frau?«
    |26| »Herrisch und anmaßend. A propos: hat deine Großmutter angerufen?«
    »Dreimal. Sie hat ein Problem. Sie hat gejammert, sie könnte genauso gut auch kinderlos sein. Sie hätte mal gehört, in ihrem Alter könnte man sich darauf verlassen, dass die Kinder sich um einen kümmerten. Insbesondere, wenn man eine Tochter hätte. Dich könnte man jedoch nicht mal auf dem Handy erreichen. Ich habe ihr erklärt, dass du einen Gespensterspaziergang mitmachst und dass Mobiltelefone das Ektoplasma stören – oder so ähnlich.«
    Honey verdrehte die Augen.
    Lindsey grinste. Gloria Cross, Honeys Mutter und Lindseys Großmutter, war keine gewöhnliche Siebzigjährige. Seniorin war sie vielleicht, aber nicht senil. Sie hatte dezidierte Meinungen und einen erlesenen Geschmack, für den die Mode von Donna Karan und die Kosmetik von Helena Rubinstein gerade eben gut genug waren.
    Honey schaute auf ihr Handy. Drei Anrufe in Abwesenheit, alle von ihrer Mutter. Keiner von Steve Doherty. Der hat viel zu tun, ermahnte sie sich.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher