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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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hier nichts wert.
    Als ihm klar wurde, dass er weder Försterrode noch sein Ackergut wiedersehen würde, sank er auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Ihre herrliche Idee von Neu-Germanien war gescheitert. Ihr größter Fehler war es gewesen, dass sie unter den Siedlern keine Auswahl getroffen hatten. Kein Germane hätte sich je so aufgeführt wie dieser Koslowski, wie dieser Schmitz oder wie dieser Riemenschneider. Auch wenn sie behaupteten, Deutsche zu sein, hatte sich ihr jüdischer Einschlag gezeigt. Ihr Blut war durch und durch verseucht.
    Ein heftiger Zorn wallte in ihm auf, half ihm auf die Beine und ließ ihn weiterlaufen. Wegen der ungeheuren Machtfülle der Juden hatten sie Deutschland verlassen. Dass der Arm der Itzigs bis nach Paraguay reichte, hätte er niemals für möglich gehalten. Jetzt zweifelte er nicht mehr daran, dass ihr Einfluss grenzenlos war. Mit erhobener Hand leistete er einen Schwur: Wenn er den Fußmarsch nach Asunción überleben sollte, wenn er genügend Geld aufbringen würde, um sich von Montevideo nach Europa einzuschiffen, dann würde er sich nicht mehr zu erkennen geben, dann würde er seine Rasse aus dem Verborgenen verteidigen.

Sieben Jahre später



Die Wannseevilla »Klein-Sanssouci«
    Der Kriminologe Dr. Otto Sanftleben saß an seinem Schreibtisch und schaute sorgenvoll durch das Fenster auf den grauen Wannsee. Sein schwarzer Leibdiener und Ziehsohn Moses Katouje war in der vergangenen Nacht nicht heimgekommen. Durch Ottos Protektion hatte der Dreiundzwanzigjährige das Abiturexamen am Gymnasium zum Grauen Kloster ablegen können. Gestern hatte er sich mehrere Vorlesungen an der Friedrich-Wilhelms-Universität angehört, um einen ersten Eindruck vom Leben eines Studiosus zu erhalten. Beim Abschied hatte er gesagt, dass er mit der letzten Wannseebahn heimkehren wolle. Unentschuldigt war er noch nie so lange ausgeblieben. Hoffentlich war ihm nichts passiert!
    Um sich abzulenken, widmete sich Otto den Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Zurzeit arbeitete er an einem Buch mit dem Arbeitstitel »Die Körpersprache der Kriminellen. Denkanstöße für Untersuchungsrichter, Vernehmungsbeamte und interessierte Laien«. Durch die freundliche Vermittlung des Geheimen Sanitätsrats Baer hatte er im Strafgefängnis Plötzensee über hundertfünfzig Häftlinge befragen können. Bei den Gesprächen hatte er weniger auf die Antworten der Männer, sondern mehr auf ihr Verhalten und ihre körperlichen Reaktionen geachtet. Seine Beobachtungen hatte er in Stichpunkten festgehalten, die er nun ausformulierte. Im Moment dachte er über ein Kapitel nach, das sich mit Begrüßungen beschäftigte, aber seit den Morgenstunden hatte er noch nichts zu Papier gebracht. Er konnte sich nicht konzentrieren.
    Nachdem er drei Kanapees mit Fleischragout, Sauerrahm und Havelzander verschlungen hatte, ging er durch seinen Arbeitsraum. Während er sich an die Balkontür lehnte und zu den grauen, westwärts ziehenden Wolken aufschaute, tätschelte er seinen Bauch. Früher war er ein Vorkämpfer der Fahrradbewegung und ein erfolgreicher Radrennfahrer gewesen, der auf seinen Körper geachtet hatte. Kurz nach seinem Triumph im »Meisterschaftsfahren von Deutschland« hatte er jedoch das Training eingestellt. Mittlerweile war er einundvierzig Jahre alt. Manchmal redete er sich ein, dass seine Forschungen, die Beratertätigkeit bei der Kriminalpolizei und seine Buchprojekte ihm keine Zeit ließen, um sich auf dem Rover-Trainier-Apparat zu schinden, aber natürlich wusste er es besser. Er war bequem geworden.
    Otto zog seine Taschenuhr aus der Westentasche und schaute auf das Ziffernblatt. Wo steckte Moses nur? Obwohl sie einen freundschaftlichen Umgang pflegten und sein Leibdiener ihn sogar duzen durfte, war er sehr gewissenhaft. Einfach auszubleiben, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, passte nicht zu ihm. Wenn er in einer Stunde nicht heimgekehrt ist, dachte Otto, telegrafiere ich meinen Eltern und meinem Bruder. Und wenn er sich nicht bei ihnen aufhält, verständige ich die Polizei. Besser zu früh als zu spät.
    Otto wollte sich gerade zur Chaiselongue begeben und in einigen Radfahrerzeitschriften blättern, als die Haustür mit einem Knall zuschlug. Sofort eilte er aus seinem Arbeitsraum, hastete den Gang hinunter und erreichte die Marmortreppe. Während er sich am Messinglauf festhielt, sprang er die Stufen hinunter. In der Eingangshalle sah er zuerst das Hausmädchen Lina, die wohl den Knall
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