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Mord im Pfarrhaus

Mord im Pfarrhaus

Titel: Mord im Pfarrhaus
Autoren: Agatha Christie
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Colonel gehört, und ich muss zugeben, dass ich erleichtert das Fehlen der Messingtische und birmanischen Götzenbilder registrierte. Das Haus war jetzt sehr einfach, aber mit erlesenem Geschmack eingerichtet. Es hatte eine friedliche, harmonische Atmosphäre.
    Doch ich fragte mich immer mehr, was eine Frau wie Mrs Lestrange nach St. Mary Mead gebracht hatte. Sie war so eindeutig eine Frau von Welt, dass nur eine merkwürdige Neigung sie getrieben haben konnte, sich in einem Dorf auf dem flachen Land zu vergraben.
    Im hellen Licht des Salons konnte ich sie zum ersten Mal genau betrachten.
    Sie war eine sehr große Frau. Ihr goldfarbenes Haar hatte einen Stich ins Rötliche. Augenbrauen und Wimpern waren dunkel, ob von Natur aus oder durch künstliche Nachhilfe, konnte ich nicht entscheiden. Wenn sie überhaupt Make-up trug, dann war es sehr kunstvoll aufgetragen. Ihr Gesicht hatte etwas Sphinxartiges, wenn es ruhig und entspannt war, und sie hatte die seltsamsten Augen, die ich je gesehen hatte – im Schatten waren sie fast golden.
    Ihre Kleidung war perfekt, und sie hatte das ungezwungene Auftreten einer Frau aus gutem Haus, und doch war etwas Ungereimtes und Verwirrendes an ihr. Sie wirkte mysteriös. Das Wort, das Griselda benutzt hatte, fiel mir ein – unheimlich. Absurd natürlich, und doch – war es so absurd? Ungebeten kam mir der Gedanke in den Sinn: «Diese Frau würde skrupellos sein.»
    Unser Gespräch verlief in völlig normalen Bahnen – über Bilder, Bücher, Kirchen. Doch irgendwie hatte ich den starken Eindruck, dass da noch etwas war – etwas ganz anderes, was Mrs Lestrange mir sagen wollte.
    Ein- oder zweimal bemerkte ich, wie sie mich mit einem seltsamen Zögern anschaute, als könnte sie sich nicht entscheiden. Sie beschränkte die Unterhaltung ganz auf unpersönliche Themen und erwähnte nie einen Ehemann oder Angehörige.
    Die ganze Zeit war da aber diese sonderbare, dringliche Aufforderung in ihrem Blick, als wollte sie sagen: «Soll ich Sie darauf ansprechen? Ich möchte es. Können Sie mir helfen?»
    Doch dann verschwand dieser Zug – oder vielleicht hatte ich ihn mir nur eingebildet. Ich hatte das Gefühl, dass ich entlassen war. Ich stand auf und verabschiedete mich. Als ich aus dem Zimmer ging, wandte ich mich um und sah, wie sie mir mit einem verwunderten, zweifelnden Ausdruck nachschaute. Spontan kehrte ich um. «Wenn ich irgendwas für Sie tun kann…»
    Sie sagte zweifelnd: «Das ist sehr freundlich von Ihnen…»
    Wir schwiegen beide. Dann sagte sie: «Wenn ich es nur wüsste. Es ist schwierig. Nein, ich glaube, niemand kann mir helfen. Aber danke für das Angebot.»
    Das schien endgültig, also ging ich. Aber ich hörte nicht auf mich zu wundern. In St. Mary Mead sind wir an Rätsel nicht gewohnt.
    Das trifft so sehr zu, dass sich sofort jemand auf mich stürzte, als ich aus dem Gartentor kam. Miss Hartnell ist sehr gut darin, sich gnadenlos und lästig auf jemanden zu stürzen.
    «Ich habe Sie gesehen!», rief sie mit plumpem Humor. «Und ich war so aufgeregt. Jetzt können Sie uns alles über sie erzählen.»
    «Über wen oder was?»
    «Die geheimnisvolle Dame! Ist sie Witwe, oder hat sie irgendwo einen Ehemann?»
    «Das weiß ich wirklich nicht. Sie hat es mir nicht erzählt.»
    «Höchst sonderbar. Man sollte denken, dass sie so etwas unbedingt erwähnt. Es sieht fast so aus, als hätte sie einen Grund zum Schweigen, nicht wahr?»
    «Das sehe ich wirklich nicht so.»
    «Ah! Aber wie die liebe Miss Marple sagt, Sie sind so weltfremd, lieber Pfarrer. Sagen Sie, kennt sie Dr. Haydock schon lange?»
    «Sie hat ihn nicht erwähnt, ich weiß es also nicht.»
    «Wirklich nicht? Worüber haben Sie denn gesprochen?»
    «Bilder, Musik, Bücher», erwiderte ich wahrheitsgemäß.
    Miss Hartnell, deren einzige Gesprächsthemen rein persönlicher Natur sind, sah mich misstrauisch und ungläubig an. Während sie überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte, nutzte ich ihr kurzes Zögern, wünschte ihr gute Nacht und ging schnell davon.
    Ich machte einen Besuch in einem Haus weiter unten im Dorf und kehrte durch den Garten ins Pfarrhaus zurück, wobei ich an der Gefahrenzone von Miss Marples Garten vorbei kam. Doch da ich es für unmöglich hielt, dass die Neuigkeit von meinem Besuch bei Mrs Lestrange bereits an ihre Ohren gedrungen war, fühlte ich mich einigermaßen sicher.
    Als ich das Gartentor verriegelte, fiel mir ein, dass ich die paar Schritte zum Schuppen gehen könnte, den der
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