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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates
Autoren: Sascha Berst
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scherzen. Er lachte und stieß Lykon freundschaftlich an. Lykon lächelte. In meinem Herzen fühlte ich einen Stich.
    Als Kritias mich sah, veränderte sich sein Gesicht. Es bekam wieder diesen unbewegten und hochmütigen Ausdruck, mit dem er mich bereits empfangen hatte – bevor er Lykons gewahr wurde. Perianders Eltern waren nirgendwo zu sehen. Für einen Moment glaubte ich, ein leichtes Wimmern zu hören, wie es vom Haus in den Hof drang, aber ich war mir nicht sicher.
    Ich wollte die Familie in ihrer Trauer nicht weiter stören und bat Kritias, mich bei Perianders Eltern zu entschuldigen. Dann verließ ich mit Lykon dieses unglückliche Haus.
    Vor dem Tor standen die Galater unbeweglich auf ihrem Posten. Unser Fahrer wartete. Er hatte die Pferde versorgt und sich unter eine Zypresse gesetzt. Das Narbengesicht schien kein Wort mit den Wachen gewechselt zu haben. Als er uns sah, erhob er sich nur allzu träge.
    «Zurück in die Stadt jetzt», herrschte ich ihn an, weil er sich auch beim Anspannen der Gäule nicht sonderlich beeilte.
«Ach, auf einmal ist es eilig?», fragte er halblaut.
«Was hast du gesagt?»
»Nichts, Herr», antwortete er höhnisch.
Er fuhr uns in die Stadt zur Agora zurück. Sie war jetzt völlig überlaufen. Es war Abend geworden, der Athener liebste Tageszeit, und alles strömte aus den Häusern und Gassen zum Marktplatz hin. Hier trafen sich Barbaren und Hellenen, Sklaven und Herren, Metöken und Athener, Frauen, Hetären und Dirnen und gingen ihren Geschäften und Vergnügungen nach – mal ehrenvoll und mal nicht. Die Agora war nicht einfach nur ein Marktplatz, sondern der Mittelpunkt des städtischen Lebens, und die Agora von Athen war nicht Mittelpunkt irgendeiner Stadt. Sie war das schlagende Herz Griechenlands. Hier fanden sich der Basar und die Buden der Kaufleute, das Quellhaus, wo die Frauen Wasser schöpften und tratschten, die Tempel Apolls, Zeus’ und Ares’, die Amtshäuser und der Sitzungssaal des Rates, die Münze, die Bibliothek und schließlich die Stoen, unsere Säulenhallen, die Treffpunkte der Männer, der Politiker, Dichter und Redner.
Nachdem uns der Fahrer abgesetzt hatte, fragte ich Lykon, was Kritias von ihm gewollt habe.
«Nichts, er war nur freundlich zu mir. Das ist alles», gab er zur Antwort.
«Er war vielleicht ein wenig zu freundlich zu dir», meinte ich.
Lykon begann schelmisch zu lächeln. «Jetzt bist du es wohl, der eifersüchtig ist?», fragte er kokett und hatte vielleicht sogar ein wenig recht damit. Ich konnte es aber nicht zugeben.
«Nein, das bin ich nicht», leugnete ich, «ich möchte nur, dass du dich von Kritias fernhältst. Er ist ein gefährlicher Mann.»
«Was soll an ihm denn gefährlich sein? Er ist ein netter älterer Herr, liebenswürdig und humorvoll», entgegnete Lykon.
«Du sprichst über ihn, als kenntest du ihn schon länger», bemerkte ich misstrauisch.
«Aber woher sollte ich ihn denn kennen?», antwortete mein junger Liebhaber. «Du siehst Gespenster.»
Ich schwieg und betrachtete Lykon genauer. Er war jetzt knapp dreizehn Jahre alt und beinahe so groß wie ich. Bald würde er in das Alter kommen, in dem er die Aufmerksamkeit der Männer verlor. Auf seiner Oberlippe stand dunkler Flaum, und die Haare an seinen Beinen wurden allmählich kräftiger. Im Moment war er zwar noch viel zu hübsch mit seinem schmalen Körper, seinen kurzen Locken und den langen Wimpern über den dunklen Augen, die er so unschuldsvoll aufzuschlagen verstand, als dass er sich deswegen Gedanken machen musste, aber das würde nicht so bleiben. Hatte ich ihn ausreichend vorbereitet auf sein Leben als Mann, wie es meine Aufgabe als älterer Liebhaber war?
Ich kaufte für uns eine Schale in Honig kandierter Nüsse und süßer Feigen. Ich wollte nicht streiten und bat Lykon, ein wenig mit mir zu essen. Wir setzen uns auf die Stufen vor dem Ares-Tempel, genossen das Obst und die Nüsse und beobachteten das Treiben der Menge.
«Weißt du, wer Kritias ist?», fragte ich nach einer Weile.
«Nein», antwortete Lykon und zuckte mit den Schultern.
«Er ist das Oberhaupt der reichsten Familie Athens. Aber das ist nicht alles. Es ist die Familie des früheren Königs. Verstehst du?»
«Ja, und?», antwortete Lykon unaufrichtig.
«Was ich dir sagen will, ist, dass diese Familie meint, Athen gehöre ihr.»
Lykon nickte, aber er hörte mir nicht zu. Er langweilte sich, das war offensichtlich. Er sah gleichgültig auf den Platz und spuckte ein Stück Schale aus. Vielleicht
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