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Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Titel: Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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Kreuzfahrt gefreut!
    Hinter mir zog ein Opa geräuschvoll Rotz durch die Flanken. Er würde doch nicht auf die Planken spucken? Nein. Im letzten Moment wurde er gewahr, daß er sich auf einem Fünfsterneschiff befand. Das gelbe Skelett kam zurück. Ruhelos schleppte es sich zwischen Eistörtchen und Kuchenbuffet hin und her, nur um festzustellen, was es alles nicht essen würde. Es war dieser Sträfling, der abends immer über den Köpfen der Tafelnden an einer Ferse aufgehängt wurde. Schrecklich, was für Foltermethoden die hier hatten! Hinter der Trapezkünstlerin watschelte eine fette schwarze Ente, die allerdings mehrere Törtchen mitsamt Schirm und Requisite verschlungen hatte. Sie sank geschwächt auf den Rand des Swimmingpools. Müde starrte sie ins Wasser, auf dem die drei gumminoppenbewehrten Teichhühner phantasielos durcheinandertrieben. Ach, welch trostloses Dasein! Alles, was hier jung und schlank war, gehörte zum Personal. In solchen schwimmenden Strafkolonien wird das Personal »Staff« oder »Crew« genannt. Zum Beispiel die zwei Dutzend appetitlichen, knackigen Vietnamesen, die für die Handtücher und Liegestühle zuständig waren. Oder die stets freundlich vor sich hin grinsenden Barkeeper im weißgestärkten Hemd und mit gut sitzender schwarzer Hose. Rastlos eilten sie hin und her und fragten, was man zu trinken oder zu essen wünschte. Bei den sieben Mahlzeiten am Tag mußte das auch sein, sonst wäre man an Vertrocknung oder Kraftlosigkeit eingegangen. Wobei wohl keiner merken würde, wenn hier einer sanft einschliefe. Frühestens der Handtuch-Vietnamese mit dem Matrosenanzug würde nach Einbruch der Dunkelheit feststellen, daß da ein Fleischberg nicht mehr erwacht war und somit versäumt hatte, zum Galadiner zu schwanken. Vielleicht hatte er Order, den Fleischberg diskret über Back- oder Steuerbord zu kippen und den Haien zum Fraß vorzuwerfen. Öffentliches Ärgernis war hier, soviel hatte ich schon mitgekriegt, nicht erwünscht. Man verhielt sich ruhig und unauffällig, indem man sich möglichst wenig bewegte, kaum sprach, auf keinen Fall laut lachte – worüber auch? – und sich nicht durch Verweigerung der Nahrung unbeliebt machte.
    Na, das konnte ja heiter werden.
    Im inneren Strafvollzug – hinter Glas, im Salon »Prinzessin Caroline« – saß einsam am Kuchenbuffet der dickliche, bleiche Jüngling, der hier für die Diavorträge zuständig war. Er hieß PeerHolger Kowalski und legte sich niemals in die Sonne, auch nicht in den Schatten, denn er war ja nicht zum Vergnügen hier. Seine Aufgabe war es, jeden Morgen im »Fürst-Rainier-Saal« die Gefangenen unter Kontrolle zu halten. Er sprach über die Ziele unserer Reise, über die Gepflogenheiten der Eingeborenen, über die Länder und Sitten. Bei ihm schliefen die meisten Gefangenen ihren Rausch aus. Diese Art des Strafvollzugs war besonders hart, denn während des Diavortrags war man auch noch in Dunkelhaft, und als verschärfende Maßnahme wurden eine ganze Stunde lang keine Getränke serviert. Ich konnte Peer-Holger Kowalski trotzdem gut leiden, denn in seinen Diavorträgen vergaß man eine ganze Stunde lang sein eigenes Ach und Weh. Wenn man sah, in welch erbärmlichen Verhältnissen die Menschen in der dritten Welt lebten – und diese dritte Welt bereiste ja unser Luxussträflingsschiff –, dann wurde einem bei aufmerksamem Hinsehen bewußt, daß es uns trotz all dieser grausamen Strafmaßnahmen noch nicht so übel ging.
    Aber, wie gesagt, die meisten Sträflinge verschliefen Peer-Holger Kowalskis Diavorträge.
    Jetzt erschien der eifrige Professor Weißenreim, der immer morgens um sieben auf dem Trimmfahrrad seine Ringelnatz-Gedichte auswendig lernte. Ein vorbildlicher Sträfling, fürwahr. Er gehörte allerdings, wie ich, zum offenen Vollzug, das heißt, wir durften uns ab und zu bewegen, und wir durften den anderen Sträflingen abends etwas die unerträgliche Langeweile vertreiben. Die fette Diseuse durfte singen, ich war für die Klassik zuständig, es gab noch die bereits erwähnte völlig verhungerte Lebenslängliche und einen tätowierten Kerl, der im düsteren Verlies »Prinz Ernst August« Karnickel aus dem Hut zauberte, und der gute Professor durfte Ringelnatz-Gedichte aufsagen, soviel er wollte. Der Ort seiner allabendlichen Veranstaltungen war ein besonders dunkles Gemach im Bauche des Schiffes, das »Fürstin-Gracia-Patricia-Kino«, in dem während seines Vortrags immer zwei Dutzend Sträflinge in den
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