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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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der Korridor dahinter erscheint dir dunkel und endlos lang. Aus dem Klassenzimmer dringt Geplapper, dazwischen bellt Gorbach seine Kommandos. Es klingelt zum Unterrichtsbeginn. Als du endlich vor der Tür stehst, schlägt dein Herz so laut, dass du den letzten Ton der Glocke kaum noch hörst. Dann mischt sich plötzlich ein anderer Takt hinein, schleifend, unregelmäßig und vertraut. Tanja hastet im gelben Regenmantel über den Flur, mit hüpfendem Tornister und nachgezogenem Fuß. Sie bleibt atemlos vor dir stehen, sagt: Kommst du nicht mit rein? Du blickst lange zu Boden, auf die Borsten des Teppichs, sagst schließlich: hdoch. Sie nickt und schlüpft durch die Tür. Du willst hinterher, doch das Kind rennt zurück in den Tunnel und raus ins Moor, durch den Regen in die Stille zu mir.
    ◆◆
    Sie hängt das nasse Handtuch über die Balustrade und den Bademantel an den Haken, müsste auch die Wäsche von derLeine nehmen, es sieht nicht aus, als würde es heute noch aufhören zu regnen. In der Küche türmt sich das Geschirr, im Keller ein Klamottenberg, der noch in die Maschine muss. Sie darf das Leergut nicht vergessen, im Supermarkt in Zeeve ist die Zitronenlimonade billiger als im Laden von Ilse Bloch, außerdem hat sie dort ihre Ruhe, kein Getuschel, keine Blicke im Rücken. Sie fingert eine Zigarette aus der Schachtel, die Streichhölzer sind klamm, brechen ab, erst beim dritten zischt das Flämmchen. Der Filter klebt an der Unterlippe fest und reißt den Grind ab, beim ersten Zug schmeckt sie Blut, dann Ruß, auch das Papier ist feucht. Sie lässt die Zigaretten neuerdings draußen auf dem Tisch liegen; seitdem sie sich zum Rauchen auf die Veranda zwingt, ist ihr Verbrauch auf eine Schachtel täglich geschrumpft, wenigstens das, denkt sie, habe ich geschafft. Nicht wirklich ein Erfolg, denn drüben in der Werkstatt, beim Starren auf die Nesselbahn, wo ihre Augen Linien zeichnen, die ihre Hand einfach nicht nachziehen kann, verglüht die Kippe im Aschenbecher, in ihren Fingern schon die nächste, und so weiter, bis die Farbe am Pinsel eingetrocknet ist. Wenn sie es irgendwann doch wagt, vorsichtig, fast widerwillig die stille, kalte Oberfläche zu berühren, so, wie man mit einem Stöckchen ein verletztes Tier antippt, um zu prüfen, ob es noch lebt, ist die Schachtel leer und ihre Idee oder das Bild, das in ihrem Kopf eben noch ein wildes, schönes Biest war, längst verreckt.
    Das ist ihr Vormittag, zehn bis zwanzig Zigaretten, je nach Zähigkeit des Viehs, das es zu stellen gilt. Gestern hat es noch lange gezuckt, ein widerspenstiges Exemplar, dabei hatte sie ihren Einfall wirklich gut gefunden, noch mit Spülschaum an den Händen ist sie vom Abwasch weg und hinüber in die Scheune. Nach drei Stunden hat der Hals geschmerzt, dieLeinwand war vom Starren regelrecht durchlöchert, die Unterlippe schon wundgekaut, doch das Miststück biss zurück. Ein letzter Stoß mit dem gröbsten ihrer Pinsel, endlich zwei schwarze Zacken auf zu viel Weiß, mit der Spachtel noch einmal nachgebohrt, dann war Ruhe.
    Die ständig leeren Zigarettenschachteln und Bilderleichen sind der Beweis, dass sie zwar den Willen, nicht aber das Talent besitzt, ihre Ideen in Taten und Werke, also Bargeld umzusetzen. Marga Katthusen, knurrte das halbtote Tier, sieh endlich ein, dass du eine Traumtänzerin und Möchtegernmalerin bist, die sich weigert, wie jeder andere Mensch in deinem Alter zu arbeiten, hinter einer Ladentheke, auf dem Feld, bei Nordfrost, der Tiefkühlfabrik, am Fließband oder wenigstens vorm Herd, zwei Kinder am Rockzipfel, das dritte im Bauch, am Tisch den hungrigen Mann – und sie raucht nun doch die zweite Zigarette und betrachtet dabei die tropfenden Kleidungsstücke an der Leine, deine Unterhosen, die dicht an dicht mit ihrer Spitzenwäsche und den schwarzen Netzstrumpfhosen hängen, die bei den Dorffrauen für Blicke sorgen.
    Sie weiß, dass du lieber einer von ihnen wärst, ein Krämerkind oder Bauernjunge, den Schweinezüchter Karl Lambert als Vater und mit einer Mutterglucke wie Marianne, deiner Tante, die dir manchmal einen Apfel oder ein paar frische Eier zusteckt, mit frommer Miene und einem Gruß an die Mutter, diese Heuchlerin, denkt sie, die damals jedem im Dorf von der Schande geflüstert hat, die ihre, Margas, Hochzeit mit Karls Bruder, deinem Vater, über die Familie brachte. Auch ihrem Schwager Karl, der es auf ihr Haus und das Grundstück abgesehen hat, hätte sie die verrotteten Mauern längst
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