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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras
Autoren: Sheri S. Tepper
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Sumpf und den Weinranken aus, und es gibt nichts im Sumpf, wofür irgend jemand sich interessieren könnte. Von oben wirken die großen Bäume wie die wogenden Wellen eines graugrünen Meeres. Aus der Ferne sind sie ein Wall, der Commoner Town einschließt und die unbändige Energie der Händler und Handwerker an der Eruption hindert. Aus der Sicht der Stadt sind sie ein Bollwerk gegen das unvermeidliche Gras. Norden, Süden, Osten und Westen: in allen Himmelsrichtungen wird die Stadt vom Sumpfwald begrenzt. Keine Straße führt herein, keine hinaus; der undurchdringliche und unerforschte Wald ist so groß und geheimnisvoll, daß – obwohl das völlig aus der Luft gegriffen ist – alle Einwohner von Commoner Town glauben, dort drin gäbe es etwas, das eines Tages aus heiterem Himmel über sie kommen würde.

 
3
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    DieStraßen von St. Magdalen waren wie immer tief verschlammt. Marjorie Westriding Yrarier mußte ihren Schwebegleiter am Tor abstellen, gleich neben dem Pfosten, an dem die aktuelle Einwohnerzahl angeschlagen war. Dann schlurfte sie durch den fast knöcheltiefen Matsch an der Kapelle und an der Suppenküche vorbei zu der Hütte, die Bellalou Benice und ihren Kindern zugewiesen worden war. Das heißt, jetzt hatte sie nur noch ein Kind: Lily Anne. Die beiden leiblichen Kinder hatten ihre Mutter vor einem Monat öffentlich verstoßen und sich somit aus der Affäre gezogen. Diese Redewendung hatte einen bitteren Beigeschmack für Marjorie, und sie errötete. Sie ärgerte sich darüber, daß sie sich über die beiden fast erwachsenen Benice-Kinder ärgerte. ›Aus der Affäre gezogen‹ traf es genau, und Bellalou hatte ihre Kinder wahrscheinlich selbst dazu angehalten, die erniedrigende Zeremonie zu vollziehen, sobald sie alt genug waren. Auf Terra beriefen sowohl die planetarische als auch die Mehrzahl der Provinzregierungen sich auf ein Jüdisch-Christliches Erbe, wobei das Gebot ›Du sollst Vater und Mutter ehren‹ jedoch keine Relevanz für illegale Kinder und deren Eltern hatte.
    Vor der Hütte stellte Marjorie den Rucksack auf die Treppe und kratzte die Stiefel an der scharfen Kante ab, wobei sie die klebrigen Brocken in den Morast schleuderte. Dafür gab es keine Entschuldigung. Es würde weniger Geld kosten, die Straßen zu pflastern, als anläßlich der quartalsweisen Vorstandsvisiten provisorische Gehwege zu verlegen. Mit dieser Ansicht befand Marjorie sich im Rat der Gouverneure jedoch in der Minderheit; für ›soziale Sentimentalitäten‹ hatte man dort kein Verständnis. Die meisten Vorstandsmitglieder trafen ihre Entscheidungen bezüglich Breedertown, ohne die Stadt oder ihre Einwohner jemals persönlich gesehen zu haben. Nicht daß sie Marjorie nicht wegen ihres ›Engagements‹ und ›Mutes‹ lobpriesen. Früher hatte ihr das erhebliche Befriedigung verschafft. Vor einiger Zeit. Bevor sie wußte, was sie heute wußte.
    Die Tür der Hütte öffnete sich einen Spaltweit und gab den Blick auf Bellalous geschwollenes Gesicht frei. Jemand hatte sie wieder geschlagen. Ihr vermeintlicher Ehemann war es indessen nicht gewesen. Der war nämlich im letzten Jahr wegen illegaler Kinderzeugung erschossen worden.
    »Gnädige Frau«, sagte Bellalou.
    »Guten Morgen, Bellalou.« Marjorie setzte das bei Besuchen übliche Lächeln auf, wobei sie sich jedoch bemühte, kein herablassendes Wohlwollen zu zeigen. »Wie geht es Lily?«
    »Gut«, entgegnete die Frau. »Es geht ihr gut.«
    Lily Anne ging es natürlich nicht gut. Als Marjorie den schäbigen Raum betrat, schaute das illegale Kind sie mit einem Gesicht an, das genauso geschwollen war wie das ihrer Mutter. »Sie kontrollieren mich ja schon wieder.«
    »Versuch am Leben zu bleiben, bis das Schiff startet, Lily.«
    »Haben Sie schon einmal daran gedacht, daß ich vielleicht lieber tot wäre?«
    Marjorie nickte ungerührt. O ja. Daran hatte sie durchaus schon gedacht. Vielleicht wäre Lily lieber tot. Vielleicht wären die meisten illegalen Menschen lieber tot, als nach Reue deportiert zu werden, wo zwei Drittel von ihnen ohnehin nicht das dreißigste Lebensjahr erleben würden. Marjorie hatte sich dieser Sache aufgrund der religiösen Überzeugung von der Unantastbarkeit des Lebens verschrieben, aber das war gewesen, bevor sie gewisse Dokumentarfilme gesehen und gewisse Exposes gelesen hatte. Selbst sie war sich nun nicht mehr
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