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Monströs (German Edition)

Monströs (German Edition)

Titel: Monströs (German Edition)
Autoren: Chris Karlden
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verfüge. Also hatte Martin nur das Spezialwerkzeug, Schleifpapier und verschiedene Polituren in einer Werkzeugtasche mitgenommen. Die wenigen Kleider, die er für die paar Tage dort oben brauchte, hatten bequem in eine Reisetasche gepasst.
    Er überquerte die Haupteinkaufsstraße Zermatts, die direkt neben dem Bahnhof verlief. Ein stilechtes Alpenhotel reihte sich dort an das Nächste. In den Erdgeschossen befanden sich meist Geschäfte mit Souvenirs oder Kleidern aber auch Restaurants und Bars.
    Zehn Minuten später saß er in der Zahnradbahn, wo seine Kopfschmerzen und die Übelkeit mit jedem Höhenmeter zunahmen. Worauf hatte er sich nur eingelassen?
    Außer ihm saßen nur wenige Menschen in der Bahn. Sie fuhr sehr langsam und hielt an mehreren Stationen, an denen ein paar Leute ausstiegen, während andere wieder zustiegen. Wie so oft im Laufe eines Tages, und insbesondere an diesem Tag, musste er an sein früheres Leben denken.
    Es war so viel versprechend gewesen. Und dann hatte sich seine Frau vor drei Jahren das Leben genommen. Nicht einfach so, aber überraschend war es trotzdem gewesen und es hatte ihn in eine tiefe Krise gestoßen, aus der er bisher noch nicht wieder herausgekommen war. Er hatte schon zu viel darüber nachgedacht. Jede Nuance hatte er im Kopf durchgespielt. Doch bis heute hatte er keine plausible Antwort auf die Frage nach dem Warum ihres Selbstmordes gefunden. Nichts, das ihn letztlich überzeugt hätte.
    Er wischte diese unergiebigen Grübeleien weg. Der Zug fuhr jetzt gefährlich nah am Abgrund vorbei. Die Wände des Waggons schienen plötzlich auf ihn zuzukommen. Er wusste, dass es die Platzangst war, die ihm diesen Streich spielte und der verdammte Schnee ringsum. Ruhig atmen, ganz ruhig, ermahnte er sich. Er dachte an seinen Vater, der ihn gedrängt hatte, die Reise zu machen. Aber letztlich war Selma das entscheidende Zünglein an der Waage gewesen. Sie hatte ihm immer wieder eingetrichtert, wie gut ihm der Ortswechsel tun würde, und dass er dadurch bestimmt auf andere Gedanken käme. Schließlich habe er eine Verantwortung Paul gegenüber. Und das stimmte. Allein für ihn musste er es schaffen, wieder auf die Beine zu kommen.
    Paul war jetzt sechs Jahre alt. Schlimm genug, dass er seine Mutter verloren hatte. Er brauchte seinen Vater jetzt doppelt. Aber genau das war es, was ihm nicht gelang. Er war kein guter Vater. Er war nie wirklich bei ihm. Körperlich ja, aber geistig war er abwesend. Ständig fühlte er sich, als sei eine unsichtbare Glocke über ihn gestülpt, die ihn von der Außenwelt und der Teilnahme am Leben abschirmte.
    Er blickte aus dem Fenster und zwang sich, dem Panorama der schneebedeckten Gipfel und Täler etwas abzugewinnen. Es blieb bei dem Versuch.
    Nach fünfunddreißig endlosen Minuten erreichte die Zahnradbahn die Endstation auf dem Gornergrat. Martin stieg aus, durchschritt mit seinem Ticket eine Drehschranke und blickte sich um. Etwa einhundert Meter über ihm thronte das Hotel. In der Ferne streckten sich die Gipfel mehrerer Viertausender nach den Wolken. Martin ging zaghaft zu der Brüstungsmauer, die sich nur ein paar Schritte von der Bahnstation entfernt befand, und bis zum Hotel hinaufführte. Dahinter ging es steil bergab. Ganz unten verlief eine unwirklich glitzernde Gletschersohle. Martin drehte sich um und folgte dem sich nach oben windenden Weg zum Hotel. Es sah aus wie eine mittelalterliche Burg. Diesen Eindruck störten allein die beiden futuristischen weißen Kuppeln auf den flankierenden Türmen, die zu einer Sternwarte gehörten. Hinter dem Hotel führte ein schmaler Weg hinauf zu einer Aussichtsplattform. Dort konnte Martin ein paar Touristen ausmachen.
    Zum Glück war der Weg zum Hoteleingang vollständig vom Schnee geräumt. Die Werkzeugtasche machte Martin, hier oben in über dreitausend Metern Höhe, noch schwerer zu schaffen, als im Tal. Das Gewicht war dabei weniger das Problem, mehr lag es an der Höhenluft. Beim Atmen verspürte er einen Druck auf dem Brustkorb und er musste öfter atmen, um die gleiche Menge Sauerstoff in die Lungen zu bekommen, wie im Tal. Seine Kopfschmerzen waren auf dem Höhepunkt angelangt und die eisige Kälte kroch ihm in die Glieder. Die Anzeige auf einer Tafel neben der Bahnstation verriet ihm, dass die Temperatur bei drei Grad unter null lag, dazu blies ein zäher Wind.
    Als er vor der gläsernen Eingangstür des Hotels ankam, waren seine Füße feucht und klamm vor Kälte. Trotzdem hielt er kurz inne,
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