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Monde

Titel: Monde
Autoren: Dan Simmons
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fest, dass er in der Vergangenheitsform sprach wie von jemandem, der gestorben war.
    Maggie blieb stehen und beobachtete, wie das strahlende Sonnenlicht den Kontrollturm und die Schalterhalle des Flughafens von Neu-Delhi mit Gold überzog. Sie schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und verschränkte die Arme. »Kaum zu glauben, dass seit der Challenger- Explosion schon wieder achtzehn Monate vergangen sind«, sagte sie. »Das war so schrecklich.«
    »Ja«, sagte Baedecker.
    Es war ironisch, dass er ausgerechnet wegen dieses Fluges am Cape gewesen war. Bis dahin war er nur bei einem einzigen Shuttleflug dabei gewesen, einem der ersten Testflüge der Columbia fast fünf Jahre zuvor. Im Januar 1986 wurde er bloß deshalb Zeuge des Challenger- Des a sters, weil Cole Prescott, der Vizepräsident von Baedeckers Firma, ihn gebeten hatte, einen Kunden zu begleiten; der hatte eine Subkomponente der Spartan-Halley-Forschungsanlage finanziert, die sich im Frachtraum der Challenger befand.
    Der Start von 51-L war durchaus normal verlaufen; Baedecker und der Kunde standen in VIP-Bunkern fast fünf Kilometer vom Startplatz 39-B entfernt und schirmten die Augen gegen die Morgensonne ab, als es passierte. Baedecker konnte sich noch erinnern, dass er sich gewundert hatte, wie kalt es war; er hatte nur ein leichtes Baumwolljackett dabeigehabt, und der Morgen war der kälteste, den er jemals am Cape erlebt hatte. Durch das Fernglas konnte er Eis auf den Startrampen um das Shuttle herum erkennen.
    Baedecker hatte sich überlegt, ob sie möglicherweise früher aufbrechen sollten, um den Menschenmassen am Ende der Veranstaltung zu entrinnen, als die Stimme des Pressesprechers der NASA aus den Lautsprechern schallte. »Flughöhe vier Komma drei Seemeilen, Entfernung drei Seemeilen, Maschinen volle Kraft voraus. Drei Schubdüsen jetzt bei einhundertundvier Prozent.«
    Er hatte flüchtig an seinen eigenen Start vor fünfzehn Jahren gedacht, als es sein Job gewesen war, die Daten zu übermitteln, während Dave Muldorff wachsam die Steuerung der monströsen Saturn V im Auge behielt. Plötzlich holte ihn Commander Dick Scobees Stimme in die Gegenwart zurück. »Roger, gib mehr Schub!« Baedecker spähte zu den Parkplätzen hinüber und überlegte sich, wie verstopft die Straßen sein würden, und einen Augenblick später sagte sein Kunde: »Mann, diese SRBs erzeugen aber eine irre Wolke, wenn sie abkoppeln, was?«
    Da hatte Baedecker nach oben geblickt, die expandierende, pilzförmige Kondensspur entdeckt, die nichts mit der Abkopplung der SRBs zu tun hatte, und hatte sofort das widerliche orangerote Leuchten, welches das Innere der Wolke erhellte, als hypergolische Treibstoffe identifiziert, die sich entzündeten, während sie aus dem zerstörten Kontrollsystem und den Steuerdüsen entwichen. Ein paar Sekunden später wurden die gigantischen Schubdüsen sichtbar, die unkontrolliert aus der immer noch expandierenden Kumuluswolke der Explosion heraustrudelten. Baedecker, der sich sterbenselend fühlte, hatte sich zu Tucker Wilson umgedreht, einem Kollegen aus der Apollo- Ä r a, der immer noch im aktiven Dienst bei der NASA war, und hatte ohne echte Hoffnung gefragt: »RTLS?«
    Tucker hatte den Kopf geschüttelt; nein, das hier war keine Notlandung mit Rückkehr zum Startplatz. Es war vielmehr genau das, wovor sie sich alle während ihrer eigenen Startphase insgeheim gefürchtet hatten. Als Baedecker wieder nach oben schaute, hatten die ersten Trümmer der zerstörten Orbitalfähre bereits ihren langen, traurigen Sturz ins wartende Grab des Meeres begonnen.
    In den Monaten nach Challenger fiel es Baedecker schwer zu glauben, dass das Land jemals oft und problemlos ins All geflogen war. Die lange Pause erdgebundener Zweifel, während der absolut nichts abhob, wurde für Baedecker zum Normalzustand und verschmolz in seinem Denken mit einem grässlichen Gefühl von Schwere, Entropie und triumphierender Schwerkraft, das auf ihm lastete, seit seine eigene Welt und seine Familie wenige Monate zuvor auseinandergebrochen waren.  
    »Mein Freund Bruce hat erzählt, dass Scott nach der Explosion der Challenger zwei Tage nicht aus seinem Zimmer kam«, sagte Maggie Brown, als sie wieder vor der Schalterhalle des Flughafens von Neu-Delhi standen.
    »Wirklich?«, sagte Baedecker. »Ich hätte nicht gedacht, dass sich Scott damals noch f ü r das Raumfahrtprogramm interessiert hat.« Er sah hoch, als die Sonne plötzlich wieder von Wolken verdeckt wurde.
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