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Monde

Titel: Monde
Autoren: Dan Simmons
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wieder ein blauweißer Ball auf schwarzem Samt, so klein und so wunderschön, dass er die Arme darum schlingen konnte. Und näher, verlockend näher, schwebte die große, weiß-graue, pockennarbige Scheibe seiner anderen Welt. Aber noch während er versuchte, mit kräftigen Stößen die geringe Distanz zu überwinden, wusste er, dass ihm dies als Einziges verwehrt sein würde. Nein, nicht verwehrt, wurde ihm klar, denn einmal war es ihm ja gestattet worden. Nur die Rückkehr war ihm verwehrt. Doch dann schwebte er wie als Entschädigung über den vertrauten weißen Gipfeln und schattigen Kratern, und er konnte noch deutlicher sehen als vorher.
    Er konnte die goldenen und silbernen Apparate ausmachen, die er und sein Freund zurückgelassen hatte, totes Metall, nutzlos, das klein bisschen Wärme in Jahren glühend heißer Tage und eiskalter Nächte ausgesogen. Aber er entdeckte auch die wichtigeren Gegenstände, die sie zurückgelassen hatten, nicht die umgestürzte Flagge oder die staubbedeckten Maschinen, sondern ihre Fußabdrücke, so scharf umrissen und deutlich wie in dem Augenblick, als sie entstanden waren, und einige wenige wahre Artefakte, auf denen sich die aufgehende Sohne spiegelte – eine kleine Fotografie, eine Gürtelschnalle, alles der Sichel der Erde zugewandt.
    Bevor er kalt und schlotternd zurückkehrte, bemerkte Baedecker noch etwas. Er sah die Lichter, die das Band zwischen Licht und Dunkel überquerten, wo schwarze Messer aus Schatten zerklüftete Löcher in das schwache Erdlicht schnitten. Stränge aus Licht. Kreise aus Licht. Das Licht von Städten und Transportwegen und Steinbrüchen und Gemeinschaften, manche unterirdisch, andere stolz auf den dunklen mare und Hochebenen verteilt, alle sehnsüchtig auf die Dämmerung wartend.
    Und dann schwebte Baedecker zurück. Er machte unterwegs mehrmals Pause, paddelte, um an Ort und Stelle zu bleiben, aber sonst ließ er sich weitgehend von der gewaltigen Anziehungskraft der Erde einfangen, sanft, aber bestimmt. Erst als er gegen Ende kurz den Atem anhielt, sachte über dem Gipfel des Bear Butte schwebte, den blauen Pritschenwagen entdeckte, der unten bremste, und die junge Frau, die ausstieg und im Laufschritt den schmalen Weg hinaufstürmte … erst da akzeptierte er den Sog der Erde völlig und erkannte, dass es sich um mehr als die gedankenlose Anziehungskraft von Materie gegen Materie handelte. Und bei dieser Erkenntnis spürte Baedecker dieselbe Energie in sich, die durch ihn hindurch- und aus ihm herausströmte und Menschen ebenso verband wie Gegenstände.
    Baedecker schwebte und spürte nun gleichzeitig die Wärme der Sonne auf sein Gesicht einströmen, wusste, dass er schlief, hörte eine vertraute Stimme in der Ferne rufen und wusste, in einem Augenblick würde er erwachen und aufstehen und Maggie antworten. Aber ein paar Sekunden war er noch damit zufrieden, einfach zu schweben, weder an die Erde gefesselt noch frei, in dem Bewusstsein, dass es noch viel zu lernen gab, und voller Freude darauf.
    Dann berührte Baedecker den Berg, lächelte und schlug die Augen auf.
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