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Momentum

Momentum

Titel: Momentum
Autoren: Roger Willemsen
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Gianduja.
    »Ich nahm ein besonderes Kaninchen, eines mit dem feinsten Haar, damit werden Trommeln bespannt.«
    »Für sich allein haben Sie das gekocht?«
    »Für mich und meine Verlobte. Wissen Sie, ich bin lieber nur verlobt. Verheiratet möchte ich nie sein, verlobt ist ideal für mich.«
    »Und Ihre Verlobte hat sich damit abgefunden?«
    »Verzeihen Sie, wir Männer, wir sagen unsere Gefühle wie in einer Fremdsprache, nicht wahr? Sie sitzt nicht, wir wissen so ganz genau nicht … der Mann sagt nicht, was er fühlt, er sagt, was er sagen kann.« Er lacht: »Meine Verlobte ist eine Muttersprachlerin im Fühlen. Sie kann das alles wunderbar sagen, und bisweilen spricht sie fließend an mir vorbei. Darauf möchte ich nicht verzichten.«
    Er verschwindet in der Küche, kommt zehn Minuten später mit einer besonderen, gefüllten Olivenart wieder an den Tisch, die er testet, indem er in meinem Gesicht die Ausbreitung ihres Aromas verfolgt. Minuten später ist er abermals am Tisch:
    »Ich will ehrlich mit Ihnen sein: Wissen Sie, in der Liebe finde ich nicht die Liebe gut. Ich mag sie eher als Liebeslied oder Liebesfilm. Die Liebe, wie ich sie kenne, ist nichts für mich.«
    Dieser merkwürdige Mann. Ich sehe ihn in der Livree die Flügeltür aufstoßen, nachdem er auch diesen Satz serviert hat wie ein Gericht. Beim nächsten Gang ist er dann plötzlich stiller.
    »Ich muss mich entschuldigen. Was ich eben sagte, war nicht ganz passend.«
    »Was meinen Sie mit ›nicht ganz passend‹?«
    »Das mit der Kirsche, das hätte ich nicht sagen sollen.«
     
    Die alte Frau im Haus, die von einer Reise heimkehrt, ein »Mitbringsel« hat, sie möchte mich ansehen, wie ich es auspacke, das Schächtelchen mit der Goldkordel darum, mit goldener Schreibschrift versehen: »Spezialitäten aus F.« Ich streiche das geblümte Papierchen fürsorglich glatt. Sie soll denken, dass ich es wiederverwenden möchte.
    »Pastetchen«, sagt sie, das Wort schmeckend mit leuchtenden Witwen-Augen, die bis in die Tiefe ihrer Kindheit hinein froh sind über alles: die Delikatesse, die Goldkordel, meine Augen, das Wort. Als ich die Schatulle öffne, ist das Pastetchen eine Lage Eischnee, gepresst zwischen Eiswaffelblätter, samt griesig verspachtelter Nougatcreme. Mir wird ganz anders angesichts des Verrats an den Augen der Alten. Aber in ihrem Blick ist die Freude wieder intakt, unberührt von dem, was mit der Zeit aus den Versprechen und den Pastetchen geworden ist.
     
    Manchmal ist auch eine Stimme vor dem Fenster, die zitternd, zitternd wie Leibwäsche auf der Leine danach schreit, man möge den Hund, man möge jetzt sofort, hindern müsse man ihn, mit allen Mitteln, jetzt hier, direkt in den Hof, ob man ihn nicht hindern könne, den Hund, mitten in den Hof zu wursten. Dann mischt sich wie eine Streicher-Kaskade die Stimme des Frauchens ein mit »freilichselbstverständlichnatürlich«, »jawosindwirdenn«, »jawashabenwirdennda?« Aber der Hund hat sich auf die Hinterpfoten herabgelassen und schaut mit dem abwesendsten Ausdruck der Welt in die Ferne, dann unglücklich ins Nichts, dann zieht er eine Schnute. Dann nestelt das dicke Mädchen an seiner Seite eine Schnur aus der Tasche und peitscht aus dem Hund den minutenlang unter dem gehobenen Schwanz stopfenden Köttel, der endlich, unter einer übermenschlichen Anstrengung der Ringmuskulatur und mit einem Keuchen aus Schmerz und Triumph, auf das Pflaster geschleudert wird. Doch sie schlägt den Hund weiter mit dieser ganz wirkungslosen Schnur und der Chorhemd-Innigkeit im Gesicht, in dem das Ekstatische der Rechtsausübung zur Katharsis der Affektentladung und Lösung tritt, sie schlägt in die Ermüdung der Affekte hinein, tut es ohne Gegenüber, ohne Objekt, ohne Betrachter. Ob man denn nicht endlich, setzt die Stimme wieder ein, nicht endlich, endlich den Hund, diesen furchtbaren Hund hindern könne …
     
    Im Regen des Victoria Park ein riesiger zottiger Hund, der unter den Büschen durch das Laub stöbert. Sein Fell trieft schon, wird aber immer noch nasser durch das Wasser, das von den Zweigen und Blättern tropft. Sterben nicht die Schafe im Regen Patagoniens, weil das Fell zu nass, zu schwer wird, sich die Tiere erkälten und siechen? Die Erde schmatzt unter den Pfoten, die Nase sabbert durch das Gras, und als ein Windstoß durch den blühenden Flieder fährt, regnen Blütenblätter und Tropfen auf das nasse Fell herab. Der Hund erstarrt in seiner Bewegung und pisst in breitem Strahl
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