Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht
Autoren: Lukas Erler
Vom Netzwerk:
sprechen wollte?«
    Ich nickte.
    Brugmann räusperte sich unbehaglich und schien nicht recht zu wissen, wie er anfangen sollte.
    »Schauen Sie«, sagte er schließlich, »die Vorschriften über die ärztliche Schweigepflicht sind in Belgien genauso streng wie in Deutschland, es gibt jedoch gewisse Umstände, die … es rechtfertigen, dass ich mit Ihnen rede. Wie Sie wissen, sind wir eine Privatklinik. Teuer und gut. Es ist uns egal, wie lange ein Patient stationär bei uns ist, wenn jemand dafür bezahlt. Trotzdem war die Verweildauer von Monsieur Morisaitte mit beinahe zwei Jahren ungewöhnlich lang, und wir haben uns nicht wohl gefühlt dabei.«
    »Worüber beklagen Sie sich?«, fragte ich absichtlich zynisch. »Stammkunden sind die Seele jedes Geschäfts! Oder floss das Geld nicht mehr gescheit?«
    Brugmann zuckte etwas zusammen, blieb aber ruhig.
    »Doch«, sagte er, »von einer Liechtensteiner Bank, regelmäßig, jeden Monat. Es war etwas anderes. Monsieur Morisaitte war hier im Hause nicht beliebt.«
    Ich sah ihn erstaunt an.
    »Seit wann ist das denn ein Kriterium?«
    »Wenn jemand zwei Jahre lang hier ist, kann es eines werden. Der Patient war sehr affektlabil, sehr schwierig und sehr zornig. Er hat unseren Mitarbeitern das Leben schwer gemacht, und er war ihnen unheimlich.«
    »Er war ein kranker Mann in einem Rollstuhl.«
    »Die Leute, die ihn besucht haben, waren nicht krank! Zumindest nicht körperlich!«
    Bis zu diesem Zeitpunkt war es mir gelungen, relativ gelassen zu bleiben. Die Tatsache, dass Morisaitte nicht mehr in der Klinik war, hatte mir zwar ein mulmiges Gefühl beschert, weil ich mich an den beruhigenden Gedanken gewöhnt hatte, genau zu wissen, wo er war. Aber schließlich konnte ich nicht erwarten, dass er den Rest seines Lebens hier zubrachte.
    Die letzten Worte Brugmanns ließen meinen Magen zu einem pulsierenden Klumpen zusammenschnurren. Er muss die jähe Angst in meinen Augen gesehen haben, zumindest nahm sein Gesicht sofort einen ärztlich besorgten Ausdruck an.
    »Ist Ihnen nicht gut?«
    »Was für Leute waren das?«, fragte ich, obwohl ich eine ziemlich genaue Vorstellung hatte.
    »Im ersten Jahr waren es Anwälte, ich nehme an, von der Firma, für die er mal gearbeitet hat. Leute in dunklen Anzügen, mit Laptop und Aktenkoffer. Morisaitte hatte gerade gelernt, seine Unterschrift mit der linken Hand zu leisten. Davon haben sie reichlich Gebrauch gemacht. Im zweiten Jahr kam eine andere Sorte Männer.«
    »Welche Sorte?«
    »Haben Sie schon einmal Männer kennengelernt, die bei der Fremdenlegion waren? Hier in Belgien haben Sie öfter Gelegenheit dazu. Sie sehen die sonnenverbrannten Gesichter, die rasierten Schädel und die Tätowierungen, und Sie wissen, dass die für die Welt der Bausparverträge verloren sind. Solche Männer haben ihn abgeholt, an einem Samstag im Februar. Lassen Sie mich eines klarstellen: Ich mag Sie nicht besonders! Weil ich nämlich das Gefühl habe, dass Sie mich belügen, heute – und vor zwei Jahren auch schon! Aber der entscheidende Punkt ist folgender: Ich glaube, dass Yves Morisaitte ein außerordentlich gefährlicher Mensch ist, und deshalb erzähle ich Ihnen das alles.«
    »Danke.«
    »Sie waren zu viert, als sie ihn abholten. Drei von ihnen sahen sehr osteuropäisch aus. Morisaitte saß in seinem Rollstuhl, eine Wolldecke über den Knien, und hat uns zugewinkt, bevor sie ihn in einen VW-Bus geschoben haben. Wir hatten eine kleine Abordnung von Ärzten, Schwestern und Therapeuten gebildet, um ihn zu verabschieden, und alle gaben sich redliche Mühe, ihre Erleichterung zu verbergen. Als er schon halb im Bus war, hat er mit einem seiner Leute getuschelt, und der ist noch einmal ausgestiegen und zu mir zurückgekommen. ›Sie müssen etwas ausrichten ‹ hat er gesagt. Ich habe ihn erst gar nicht verstanden. Er hat Brusseleir gesprochen, das verdammte Kauderwelsch der Leute aus dem Marollenviertel, Flämisch, Wallonisch und Spanisch, alles durcheinander. ›Wenn der Schwede kommt, der lange Blonde, sagen Sie ihm: Auf Wiedersehen! ‹ «
    Ich bekam kaum Luft.
    Brugmann betrachtete versonnen meine Visitenkarte.
    »Ich weiß nicht, wie gut Sie als Psychologe sind, aber wenn Sie denken, dass der Mann Ihr Freund ist, sind Sie noch beschränkter als der Rest Ihrer Kollegen.«
    »In Ihnen habe ich mich auch getäuscht. Sie sind gar kein Model für Berufskleidung, sondern ein richtig guter Arzt«, erwiderte ich.
    Brugmann schwieg und sah mich ausdruckslos an.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher