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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder
Autoren: Salman Rushdie
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gehört, Pfeifer. Die haben dir hier nichts zu bieten. Wärst du gern besser in dem, was du tust?«
    Das beunruhigende Kribbeln verstärkte sich zu einem Stechen. »Das ist eine dumme Frage. Du kennst die Antwort schon, sonst hättest du nicht gefragt.«
    »Ich könnte dir helfen.«
    Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, mir jedes Wort gut zu überlegen. »Wie stellst du dir das so vor?«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie sich aufrichtete, und gleich darauf spürte ich ihren Atem an meinem Ohr. »Ich würde dir Geheimnisse ins Ohr flüstern, die dein Leben verändern.«
    Ich neigte den Kopf zur Seite, weg von ihr, ehe der Duft ihres Atems mich betören konnte. Meine Gänsehaut bekam selbst eine Gänsehaut. »Und das würdest du ganz uneigennützig tun, da bin ich sicher.«
    »Weißt du, ich hätte vergleichsweise wenig davon. Du würdest es gar nicht bemerken. Und du könntest der beste Pfeifer werden, der je gelebt hat.«
    »Klar.« Alle möglichen Schauergeschichten über Pakte mit dem Teufel und so weiter gingen mir durch den Kopf, und inzwischen begann ich meine Entscheidung, zu ihr ins Auto zu steigen, ernsthaft zu bereuen. »Also, ich fühle mich sehr geschmeichelt, sage aber nein.« Wir hatten die Schule fast erreicht. Ich fragte mich, was sie tun würde, wenn wir dort ankamen. »Ich bin mit dem Level meiner Genialität zufrieden. Jedenfalls zufrieden genug, um mich aus eigener Kraft weiter voranzuarbeiten. Es sei denn, du hättest so was wie ein kostenloses, unverbindliches Probeabo, das ich nach vier Wochen kündigen kann, ohne dir irgendetwas schuldig zu sein oder meine Kreditkartennummer angeben zu müssen.«
    Sie zog eine Grimasse und fletschte die Zähne. »Es ist sehr unhöflich, Hilfe von jemandem wie mir abzulehnen. Egozentrische Idioten wie du erhalten so ein Angebot nur selten.«
    Ich protestierte. »Ich habe doch sehr freundlich abgelehnt. Das musst du zugeben.«
    »Du hast nicht einmal darüber nachgedacht.«
    »Das habe ich. Und, hast du diese Pause gehört? Gerade eben, vor einer Sekunde? Die kam davon, dass ich noch einmal darüber nachgedacht habe. Und die Antwort lautet immer noch nein.«
    Knurrend steckte sie die Füße wieder in ihre gigantischen Clogs. »Halt an. Ich steige hier aus.«
    »Was ist mit der Schule?«
    Nualas Finger lagen wie Klauen auf dem Türgriff. »Übertreib es nicht, James Morgan. Lass mich raus, und ich reiße dir nicht den Kopf ab.«
    Etwas in ihrer Stimme klang so wild, dass ich ihr glaubte. Zu beiden Seiten wuchsen Bäume dicht an der Straße. Ich fuhr rechts ran. Nuala fummelte am Griff herum und herrschte mich dann an: »Sie ist verschlossen, du Idiot!«
    Die Türen hatten sich automatisch verriegelt. Ich drückte auf den Knopf, der sie entsperrte, und sie stieß die Tür auf. Draußen drehte sie sich zu mir um und fixierte mich mit ihren blauen Augen. Ihre Stimme klang verächtlich. »Ich glaube, dir fehlt sowieso das Potenzial, um zu lernen, was ich dich lehren könnte. Selbstgefälliger Mistkerl.«
    Sie knallte die Tür zu, und ich trat aufs Gas, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Als ich in den Rückspiegel schaute, sah ich nur ein paar trockene Blätter, die auf der Straße herumgewirbelt wurden.

[home]
    Nuala
    Der fiebrig glühende Herbst
    Ist mit leuchtendem Gelb zugedeckt.
    Gaben zum alljährlichen Leichenschmaus sind Blumen von der sterbenden Erde.
    Hinter den warmen Tagen des Sommers versteckt,
    wachsen die beißend frostigen Nächte
    und verbreiten das Versprechen, dass unsere Ernte grausam werde.
    Aus Die Goldene Zunge:
Gedichte von Steven Slaughter
    A us irgendeinem Grund blieb mir dieser Nachmittag, der erste Tag, an dem ich jemals von irgendwem ein »Nein« gehört hatte, besonders deutlich in Erinnerung. Ich konnte mich an
alles
erinnern, für den Rest meines Lebens. Nie vergaß ich das überhitzte Innere von James’ Wagen und das weiche Gefühl des abgenutzten Sitzbezugs unter meiner Handfläche. Oder die Bäume draußen, die in ihren fröhlichsten Farben leuchteten: Das Rotbraun der Eichen war dasselbe wie das Rotbraun seiner Haare. Und da war diese geballte Empfindung, die sich festgesetzt hatte wie ein Kloß hinten in meiner Kehle – Wut. Richtige Wut. Es war ewig her, dass ich zuletzt wütend gewesen war.
    Es war auch schon ewig her, dass ich zuletzt etwas nicht bekommen hatte, das ich wollte.
    Ich schmollte, bis die Sonne rot und dicht über den Baumwipfeln glomm und die Schüler in Grüppchen von zweien, dreien oder
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