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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman
Autoren: Ken Follett
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Korken wieder an die Wasseroberfläche gezogen. Die Dünung war ziemlich stark, und ich ging rauf und runter wie‘n Nuttenschlüpfer. Nur mit dem Schlauchboot kam ich nicht zurecht. Es schwamm zwar glücklicherweise direkt vor meiner Nase, ich konnte also die Leine ziehen und es blies sich auch von selbst auf – nur, ich kam nicht rein, hatte einfach nicht die Kraft, mich aus dem Wasser zu hieven. Ich begriff es einfach nicht – weil mir nicht klar war, dass ich mir drei Rippen angeknackst, das linke Handgelenk gebrochen und obendrein auch noch die Schulter ausgekugelt hatte. Also hab ich mich einfach festgehalten und fing langsam an zu erfrieren.«
    Es hat mal eine Zeit gegeben, dachte Digby, da hielt ich Bart für den Glücklicheren von uns zweien...
    »Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, tauchten plötzlich Jones und Croft auf. Sie hatten sich so lange ans Leitwerk der Maschine geklammert, bis es unterging. Schwimmen konnten sie beide nicht, aber ihre Schwimmwesten retteten ihnen das Leben. Es gelang ihnen, ins Boot zu klettern und mich reinzuziehen.« Bart zündete sich eine neue Zigarette an. »Pickering habe ich nirgends gesehen. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht, aber ich muss wohl annehmen, dass er irgendwo auf dem Meeresgrund liegt.«
    Er schwieg. Über einen hat er noch kein Wort verloren, dachte Digby und fragte nach einer kleinen Pause: »Und der fünfte Mann?«
    »John Rowley, der Bombenschütze, hatte den Absturz überlebt. Ich hörte ihn schreien, war aber nicht ganz bei mir. Jones und Croft versuchten, in die Richtung zu rudern, aus der sie ihn hatten rufen hören.« Bart schüttelte den Kopf in einer Geste hilfloser Verzweiflung. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer das war. Die Dünung muss so um einen bis anderthalb Meter hoch gewesen sein, und allmählich erstarben die Flammen, sodass wir immer weniger sehen konnten. Dazu heulte der Wind wie ein Nachtgespenst. Jones brüllte – und er hat eine verdammt laute Stimme. Rowley antwortete, und gleichzeitig jagte das Schlauchboot einen Wellenkamm hoch, auf der anderen Seite wieder runter und drehte sich dabei noch um die eigene Achse. Als Rowley wieder zu hören war, schien es aus einer ganz anderen Richtung zu kommen als beim letzten Mal. Ich weiß nicht, wie lange das so ging – aber mir fiel auf, dass Rowleys Stimme jedes Mal schwächer wurde. Die Kälte.« Barts Miene erstarrte. »Er fing an – na ja, zu jammern, irgendwie. Rief den lieben Gott an und seine Mutter und all so was, weißt du. Und dann war er plötzlich still.«
    Digby merkte, dass er unwillkürlich die Luft angehalten hatte, als sähe er schon im leisen Hauch des Atemholens eine aufdringliche Störung jener grauenvollen Erinnerungen.
    »Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung hat uns ein Zerstörer aufgefischt, der nach U-Booten suchte. Sie ließen ein Beiboot runter und zogen uns rein.« Bart starrte aus dem Fenster, wie blind für die grüne Landschaft von Hertfordshire. Vor seinem inneren Auge spielte sich eine andere, weit entfernte Szene ab. »Ich muss schon sagen, verdammtes Schwein gehabt«, erklärte er.
    Eine Zeit lang saßen sie nur da und schwiegen. Dann fragte Bart: »War der Angriff überhaupt erfolgreich? Kein Mensch will mir sagen, wie viele zurückgekommen sind.«
    »Eine Katastrophe«, erwiderte Digby.
    »Und meine Staffel?«
    »Sergeant Jenkins und seine Crew sind heil zurückgekommen.« Digby zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Desgleichen Pilot Officer Arasaratnam – wo kommt denn der her?«
    »Aus Ceylon.«
    »Sergeant Rileys Maschine wurde getroffen, schaffte es aber zurück.«
    »Typisch Ire, die haben immer Glück«, sagte Bart. »Und der Rest?«
    Digby schüttelte nur den Kopf.
    »Aber bei dem Angriff waren doch sechs Maschinen aus meiner Staffel dabei!«, protestierte Bart.
    »Weiß ich. Außer dir wurden noch zwei andere abgeschossen. So, wie es aussieht, gab es keine Überlebenden.«
    »Dann ist Creighton-Smith also tot … und Billy Shaw auch. Und … o Gott!« Er wandte sich ab.
    »Es tut mir Leid.«
    Barts Stimmung schlug um, seine Verzweiflung verwandelte sich in Wut. »Das reicht mir nicht«, sagte er. »Man schickt uns da raus, damit wir verrecken!«
    »Ich weiß.«
    »Herrgott noch mal, Digby, du gehörst doch selber zu dieser verdammten Regierung!«
    »Ich arbeite für den Premierminister, ja.« Mit Vorliebe holte sich Winston Churchill Leute aus der Privatindustrie in Regierung und Verwaltung. Digby Hoare, vor dem Krieg
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