Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
aber sie hatte nichts Sanftes oder Mütterliches mehr an sich. Sie sah schroff und verändert aus und schien von derselben, kaum verhohlenen nervösen Energie erfüllt zu sein wie ihr Mann.
    Am Küchentisch stand ein Fremder in Jeans und karierter Jägerjacke. Das war offenbar Tucker, mit dem ihre Mutter gesprochen hatte: groß, hager, nur vorstehende Knochen und Gelenke. Sein kurzgeschnittenes schwarzes Haar sträubte sich. Die dunklen Augen befanden sich unter einer flachen, knochigen Stirn; die scharfgeschnittene Nase war wie ein Keil aus Stein in sein Gesicht getrieben; der Mund war ein schmaler Schlitz, der Kiefer vorspringend wie der eines Raubtiers, das kleinen Tieren auflauert und sie mit einem einzigen Bissen in zwei Hälften teilt. Er hatte eine schwarze Arzttasche in einer Hand.
    Ihr Vater streckte die Hand nach Chrissie aus, als sie aus der Vorratskammer kam, und sie riß die Dose WD-40 hoch und sprühte es ihm aus einer Entfernung von etwa fünfzig Zentimetern in die Augen. Während ihr Vater überrascht und unter Schmerzen aufheulte, wirbelte Chrissie herum und sprühte auch ihrer Mutter direkt ins Gesicht. Sie griffen halb blind nach ihr, aber sie entkam ihnen und rannte durch die Küche.
    Tucker war verblüfft, konnte sie aber am Arm packen. Sie drehte sich zu ihm herum und trat ihm zwischen die Beine.
    Er ließ sie nicht los, aber seine großen Hände hatten keine Kraft mehr. Sie riß sich von ihm los und rannte in die Diele.

4
    Von Osten senkte sich die Dämmerung über Moonlight Co ve, als wäre sie kein Nebel aus Wasser, sondern aus rauchigem, purpurnem Licht. Es war kalt, als Sam Booker aus dem Auto ausstieg; er war froh, daß er einen Wollpullover unter dem Cordmantel trug. Als eine Fotozelle sämtliche Straßenlaternen auf einmal aufleuchten ließ, schlenderte er die Ocean Avenue entlang, betrachtete Schaufenster und versuchte, ein Gefühl für den Ort zu bekommen.
    Er wußte, daß es Moonlight Cove gut ging, daß es praktisch keine Arbeitslosigkeit gab - dank der Firma New Wave Mikrotechnologie, die hier vor zehn Jahren ihren Stammsitz gebaut hatte - trotzdem sah er Anzeichen wirtschaftlicher Zusammenbrüche. Taylor's Geschenkstudio und der Juwe lier Saenger hatten ihre Geschäfte aufgegeben; er konnte durch die staubigen Fensterscheiben leere Regale, leere Schaukästen und tiefe, reglose Schatten sehen. New Attitudes, eine Boutique mit aktueller Mode, machte Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe, und man konnte dem Zustrom der Kunden entnehmen, daß die Kleidungsstücke selbst bei Preisnachlässen von fünfzig bis siebzig Prozent nur schleppend gingen.
    Als er zwei Blocks nach Westen gegangen war, zum am Strand gelegenen Stadtrand, die Straße überquert und auf der anderen Seite der Ocean Avenue drei Blocks bis zur Knight's Bridge Tavern zurückgegangen war, verschwand der letzte Rest Dämmerung zunehmend. Perlmuttartiger Nebel kroch vom Meer herein, die Luft selbst schien phosphoreszierend zu sein und schwach zu schimmern; über allem lag ein pflaumenfarbener Dunst, nur dort nicht, wo die Straßenlaternen ihr vom Nebel aufgeweichtes gelbliches Licht verströmten, und über alldem senkte sich eine undurchdringliche Finsternis herab.
    Ein einziges fahrendes Auto war drei Blocks weiter zu sehen, und Sam war momentan der einzige Fußgänger. In Verbindung mit dem seltsamen Licht des sterbenden Tages vermittelte diese Einsamkeit ihm den Eindruck, als wäre er in einer Geisterstadt, die ausschließlich von Toten bewohnt wurde. Der immer dichter werdende Nebel, der vom Pazifik emporkroch, trug seinen Teil zu der Illusion bei, daß alle Geschäfte der Gegend leerstehend seien, daß sie nur noch Spinnweben feilzubieten hätten, Stille und Staub.
    Du bist ein sauertöpfischer Patron, sagte er zu sich. Um gut die Hälfte zu düster.
    Erfahrungen hatten ihn zum Pessimisten gemacht. Und der traumatische Verlauf seines bisherigen Lebens schloß grinsenden Optimismus aus.
    Nebeltentakel schlangen sich um seine Beine. Die fahle Sonne war halb im dunkelnden Meer versunken. Sam erschauerte und ging in die Kneipe, um etwas zu trinken. Keiner der drei anwesenden Kunden war in besonders munterer Stimmung. In einer der mit schwarzen Vinyl ausgekleideten Nischen links saßen ein Mann mittleren Alters und eine Frau, die sich zueinandergebeugt hatten und sich gedämpft unterhielten. An der Theke stand ein Mann mit grauem Gesicht über ein Glas Bier gekauert, das er mit beiden Händen hielt und dabei ein Gesicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher