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Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Titel: Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
Autoren: Mechtild Borrmann
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Containerhafen zu.
    An dieser Stelle kam plötzlich wieder Leben in ihren Körper. „Nein!“ Ihre Stimme hatte plötzlich Kraft.
    „Zum Bahnhof. Zum Zug!“
    Die Polizeipsychologin beugte sich vor.
    „Nein, Frau Koller. Die Frau ist nicht mit dem Zug gefahren.“
    Martina Koller sah sie erstaunt an.
    Dann schüttelte sie langsam den Kopf.
    „Nein?“, fragte sie leise.
    Sie sah auf. Mit unstetem Blick legte sie eine Weite zwischen sich und die Beamten. Eine Unerreichbarkeit.
    „Daniel spielt im Rheinpark“, flüsterte sie.
    Gegen fünfzehn Uhr zogen Polizisten ein Absperrband rund um den Park und suchten das Gelände mit Hunden ab. Schaulustige versammelten sich.
    Es dauerte zwei Stunden. Sie fanden vor der Mauer, die den Park und das Gelände des Wasser- und Schifffahrtsamts trennte, die vergrabenen Überreste einer in einer Acryldecke eingewickelten Kinderleiche.
    Im Präsidium waren inzwischen die Kollegen eingetroffen, die die Nachbarschaft befragt hatten. Niemand konnte sich genau erinnern, seit wann Daniel nicht mehr im Hof gespielt hatte. Die Aussagen waren vage. Einige hatten überhaupt nichts von der Existenz des Kindes gewusst. Manche meinten, ihn noch im letzten Sommer gesehen zu haben, aber die meisten Angaben beschränkten sich auf ein ungenaues „schon länger nicht mehr“.
    Auf die Frage, ob sie die Kollers denn nie gefragt hätten, wo Daniel sei, gaben alle ähnlich klingende Antworten. Mit den Kollers hatte man nichts zu tun haben wollen. Vor Herrn Koller habe man sich gefürchtet. Nur Frau Aslan hatte Julia einmal gefragt, wo denn ihr Bruder sei.
    „Im Heim“, hatte sie geantwortet.

50
    Gisela Lohmeier ging, kurz nachdem Joop van Oss mit Frau Koller ins Präsidium gefahren war und die Spurensicherung ihre Arbeit in der Wohnung aufgenommen hatte, ins Jugendamt. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten und dem Kollegen Gregor Pfaff beschloss sie, zuerst Sven, dann Julia und zum Schluss Lina abzuholen.
    Der Schulrektor führte sie in ein leeres Klassenzimmer und holte Sven aus dem Unterricht.
    Gisela Lohmeier stand an einer der hohen Fensterbänke. Ihr Kollege saß auf einem Schülertisch in der ersten Reihe und ließ die Beine baumeln. Sein braunes Haar, das er kinnlang trug, fiel ihm in das schmale Gesicht. Unter dem blauen Sakko trug er ein schwarzes T-Shirt mit Rundkragen.
    Sven betrat den Raum nur zögerlich. Seine Hände hatte er tief in die Taschen seiner Jeans vergraben. Auf seinem grauen Pullover stand „Route 66“.
    Gregor Pfaff sprang vom Tisch und hielt ihm die Hand entgegen. Er stellte sich und Gisela Lohmeier vor. Als er das Wort „Jugendamt“ sagte, wich Sven augenblicklich einen Schritt zurück. Gregor Pfaff tat, als habe er es nicht bemerkt.
    „Sven, es tut mir leid, aber wir haben nicht so gute Nachrichten. Deine Mutter kann in den nächsten Tagen nicht zu Hause sein. Du musst mit deinen Schwestern erstmal woanders wohnen.“
    Sven presste die Lippen aufeinander. Es war ihm anzusehen, dass er angestrengt nachdachte.
    „Wo ist meine Mutter?“, fragte er mit unsicherer Stimme.
    Gisela Lohmeier mischte sich ein.
    „Sven, vielleicht sollten wir das in Ruhe besprechen, wenn auch deine Schwestern dabei sind.“
    Der Junge drehte sich um und versuchte wegzulaufen. Pfaff hielt ihn am Arm fest.
    „Sven, Sven“, redete er beruhigend auf den Jungen ein. Der rief immer wieder: „Ihr lügt. Ihr lügt. Ich will nach Hause, ich will zu meiner Mutter.“ Er versuchte sich loszureißen.
    „Hey, hey! Warte mal. Lass uns reden, ja?“
    Gregor Pfaff hielt den Jungen fest umschlungen, bis er sich beruhigt hatte. Dann lockerte er seinen Griff und wechselte einen kurzen Blick mit Gisela Lohmeier.
    Sie würden ihm jetzt die Wahrheit sagen müssen. Er würde sonst nicht mit ihnen gehen.
    Gisela Lohmeier zog zwei Stühle vor den Tisch. Sie stellte sie auf gut einem Meter Abstand, damit Sven sich nicht bedroht fühlte.
    „Komm, Sven, setz dich.“
    Gregor Pfaff ließ den Jungen los und lehnte sich hinter ihn an den Tisch.
    Gisela Lohmeier suchte nach den richtigen Worten.
    „Sieh mal, vielleicht kannst du uns ja helfen. Wir suchen nämlich deinen Bruder Daniel. Weißt du, wo er ist?“
    Sven sah sie mit großen Augen an. Er schien völlig überrascht, so als habe er etwas ganz anderes erwartet.
    „Daniel ist doch im Heim“, sagte er mit tiefer Erleichterung. „Daniel ist doch schon ganz lange im Heim.“
    Gisela Lohmeier hörte heraus, dass Sven fest davon überzeugt war. Sie nutzte die
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