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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)
Autoren: Margarita Kinstner
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ihm ab, dreht lachend eine Pirouette und flattert in die Küche, um eine Dose Katzenfutter zu öffnen.
    Und während sich Marie mit der Dose in den Finger schneidet und sich fragt, ob es gescheit gewesen ist, jemanden, den sie erst ein paar Stunden zuvor kennengelernt hat, gleich mit in ihre Wohnung zu nehmen, während Jakob – nur Maries Lächeln wahrnehmend – an ihrem Finger saugt, zieht die Wiener Polizei Joes Leiche aus dem Donaukanal. Teigig und aufgeschwemmt ist sein Leib, ein bisschen wie der von frischgebackenen Müttern im Wochenbett.

2  Der Sommer saugt alles aus, er nuckelt an den Blättern und Flüssen und zieht die Körperflüssigkeiten aus den Leibern. Die Straßenbahnen stinken nach Touristenschweiß und die Autos nach feuchten Managerhemden und frischer Kinderkotze. Auch am Donaukanal riecht es, nach totem Fisch und verfaultem Laub. Nur in Sonjas Wohnung ist es dank der neuen Klimaanlage schön kühl, doch dort will Jakob nicht mehr hinein. Lieber liegt er in Maries Achselhöhle und leckt ihr den letzten Tropfen Schweiß vom Körper. So bekommt er nicht mit, wie Sonja anruft und auf seine Mobilbox kreischt, was das soll, ob er jetzt komplett durchgeknallt sei, ihr einfach so den Schlüssel auf den Küchentisch zu legen, ein feines Arschloch sei er! Aber so ist das Leben nun einmal. Während unter Maries Fenster die Bauarbeiter ins Innerste Wiens vordringen, dringt Jakob ins Innerste Maries vor, und während Sonja die Tränen herunterrinnen, rinnen Jakob die Schweißperlen herunter, bis am Schluss beide ganz dehydriert sind. Was ist aus der großen Liebe geworden? Das gemeinsame Bett gibt es nicht mehr, auch den gemeinsamen Kühlschrank nicht, Sonja trinkt Mineralwasser in ihrer sanierten Altbauwohnung, Jakob trinkt Mineralwasser in Maries Garconniere, und als beide über ihre Lippen lecken, schmecken sie salzig, Jakobs Lippen vom Marieschweiß und Sonjas Lippen von den Liebeskummertränen.
    Die große Liebe ist austauschbar, wie alles im Leben.
    Auch Konsalik-Heftchen sind austauschbar – jede Woche eine neue Ausgabe, ein neues Schicksal, eine neue große Liebe. Deswegen geht die zweiundachtzigjährige Hedi Brunner zur Trafik. Alte Frauen haben zwei dumme Eigenschaften, sie lesen zu viel Konsalik und trinken zu wenig Mineralwasser – Angewohnheiten, die im Sommer das Leben kosten können.
    Jakobs Großmutter hat Glück, der Trafikant ruft die Rettung, und eine halbe Stunde später liegt sie unter einem weißen Laken und bekommt Salzlösung in die Venen geträufelt. Auf Jakobs Mobilbox gesellen sich die Mutternachrichten zu den Sonjanachrichten, doch der Presslufthammer unter Maries Fenster macht es möglich, dass Jakob von alledem nichts mitbekommt.
    So vergehen die Hundstage, die Katzenhaare kleben an Jakobs Körper und auch die Forschungsarbeit ruht. Als Jakob endlich sein Handy aus der Hosentasche zieht und den Akku auflädt, kommt er mit dem Nachrichtenabhören gar nicht mehr nach. Wo er sei, jammert die Mutter, die Großmutter sei umgefallen, sie brauche jetzt seine Hilfe, wo er verdammt noch mal stecke, kreischt Sonja. Aber man braucht schließlich auch ein wenig Erholung, Zeit für sich. Als Jakob tags darauf mit ein paar Flaschen Mineralwasser und zwei Liebesgeschichten in die Straßenbahn klettert, hat Sonja Glück, diesmal hebt er ab.
    Zwei Sitzreihen weiter vorne kaut ein dicker Fahrgast mit dem Namen Herbert Sichozky an seiner Wurstsemmel und hört grinsend zu.
    Lange hat man die Großmutter nicht im Krankenhaus behalten. Schon sitzt sie wieder in ihrem Schaukelstuhl, trotz der Hitze eine Decke über den Knien, und liest eines ihrer Konsalik-Heftchen.
    »Kein Wunder, dass da dein Kreislauf nicht mitmacht«, sagt Jakob.
    Er stellt das Mineralwasser in die Vorratskammer, aber ja, es gehe ihm gut, ja, auch die Doktorarbeit gedeihe, prächtig sogar, bald schon würde er fertig sein. Die Welt will belogen werden und die Großmutter erst recht.
    »Und?«, fragt die Großmutter. »Wie geht’s der Sonja?«
    Immer die gleichen Sätze, wie eine wärmende Decke im Hochsommer, da kommt keine Luft dazu, Fäulnisgeruch breitet sich aus, aber lüften kann man morgen auch noch, Geheimnisse lüften sich bekanntlich noch schwerer als stickige Großmutterwohnungen, und das will was heißen. Und wenn sie morgen stirbt, denkt Jakob, wozu soll ich sie belasten, soll sie doch glauben, dass ich bald meinen Doktor hab und Sonja heirate. Also lässt er sie zurück, mit zwei neuen Konsalik-Heftchen, sechs
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