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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt
Autoren: Ursula Priess
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ich den Blick eines Mannes so sehr zurückweichen. Manchmal, und je östlicher im Land, umso häufiger, sich senkende Männerblicke mit Scheu darin, mir, der Frau, der Fremden, offenen Auges zu begegnen; oder Scham, mag sein, ihrer eigenen Bestürzung wegen; aber immer auch: Was macht sie, was sucht sie, was will sie, wohin geht sie, warum allein?
    Anders der Mann hier: Als ob ich ihm zu nahe träte, als ob mein Interesse unverschämt, mein Blick auf seine Schätze beleidigend wäre, zögert er mit jedem Wort, das er mir gibt, mir geben muss, auch wenn er, scheint es, mich nicht eines einzigen für würdig befindet; von Anfang an, schon als ich bei ihm eintrat, nicht.
    Jung ist er und nicht hässlich, sein Gesicht blass, bartlos, aber eben: dieser Blick! Seine Hände sind schmal und weiß und zittern leicht, sehe ich, als er nach der Hülle greift, in der liegt, wonach ich fragte; und seine Finger, während er, zögernd zwar, ausbreitet, was er anzubieten hat, sind fein, mit schön geformten Nägeln und ohne Spuren von harter Arbeit; so behutsam wie sie anfassen, ich frage mich, ob sie jemals eine Frau –
    Der Mann schlägt die Augen nieder.
    Ob er mir etwas erzähle über Ihn im grünen Gewand, frage ich – aber allein, dass ich nach Ihm frage, ist dem Mann mit den weißen Händen nicht geheuer; meine Neugier, mein Entzücken, scheint mir, erfüllt ihn mit Widerwillen.
    Du willst nicht, sage ich ohne Worte, und trete einen Schritt zurück – soll ich also gehen?
    Bleib, sagt mir klar und eindeutig, zwischen einem Augenauf- und -niederschlag, sein Blick, bleib um des täglichen Brotes willen!
    Ich zeige auf den Grüngewandeten und sage: Der flammende Goldglanz hinter Ihm, dieser Goldglanz von den Ellbogen bis weit über den Kopf hinaus, bei uns heißt er »Aura« – warum frage ich nicht, wie er diesen Goldglanz nennt? Vermutlich stamme das Wort aus dem Persischen, rede ich weiter und sehe, der Mann schenkt mir ein kleines, feines Lächeln. Ahura Mazdao, der Sonnendurchleuchtete, habe seinen Namen dafür gegeben, versuche ich es weiter und finde, das Lächeln des Mannes ist schön jetzt und rein und ohne jede Frage an mich als Frau und als Ungläubige. Ich will ihm etwas anbieten außerhalb unser beider Welten, Versöhnung vielleicht, immerhin etwas, was mir sein Lächeln erhielte.
    Ja, sagt er mit leiser Stimme, vor Ihm wurden schon viele Propheten gesandt.
    Sein Lächeln noch immer, es verführt mich, mehr zu wollen; ich frage, ob nach Ihm weitere kämen.
    Was fragst du so dumm, wo du es doch gar nicht mit deinem Herzen wissen willst, sagt mir sein Blick; und sein Mund sagt: Er war der Letzte. Nach Ihm kommt das Ende der Welt.
    Und wohin ist Er im grünen Gewand unterwegs – nun will ich es wirklich wissen, aber auch, ob die Schwebe zwischen mir und dem jungen Mann zu halten sei –, und warum ist Sein Gesicht verhüllt?
    Da, ganz plötzlich, fällt alle Präsenz aus seinem Gesicht. Nichts bleibt darin als ein unbestimmt gläserner Blick durch mich hindurch; und seine Hände zittern, als ob sie sich mühsam enthielten einzusammeln, was vor mir ausgebreitet liegt.
    Er verweigert sich mir.
    Aber ich werde dich zwingen! Deinen Widerstand werde ich brechen, und du wirst mir doch geben, wonach ich verlange! Mit Fingerspitzen nur und mit äußerster Vorsicht nehme ich eine seiner Kostbarkeiten, halte sie ihm hin und sehe: Ihm ist, als ob ich ein Messer ihm mitten ins Fleisch – und für einen winzigen Augenblick begegnen wir uns, Aug’ in Auge, und messen uns, Blick in Blick.
    Die nehm ich!, sage ich und krame siegesgewiss in meiner Tasche nach den Dollars. Worauf er nach einer Pappe greift, sie faltet, und hineinlegt und wortlos mir reicht, was er mir nicht vorenthalten kann – aufgrund der Dollars, die ich vor ihm auf den Tisch lege.
    Vielen Dank, sage ich und öffne die Tür und höre im Hinaustreten aus dem winzigen Laden hinter mir sein Zu dei-ner Freude möge es dir gereichen! Ich drehe mich um und sehe: Er steckt die Dollarnoten ein, erleichtert und angewidert zugleich.
    Nun gehe ich durch die engen Gassen im Alten Bazar, und mir ist wie nach einem tiefen Traum. Und: dass mich die Erde wiederhat!
    Was ich aber wegtrage unterm Arm, das Bild, das von jener Welt zeugt, die mir wunderbar und fast unbekannt ist: der im grünen Gewand mit verhülltem Gesicht und mit lodernder Goldflamme im Rücken, reitend auf einem Pferd mit Menschenkopf, begleitet von Wesen mit Flügeln, unterwegs in die Berge, der Himmel
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