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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt
Autoren: Ursula Priess
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Widerschein auf dem dunklen Wasser und das aufschäumende Gestrudel am Heck. Nun nimmt er Fahrt nach Nordosten, bosporusaufwärts.
    Es muss der russische sein, der drei Tage unterhalb von Tophane am Quai lag. Über Nacht wird er sie, die herkamen, um Geschäfte zu machen, übers Schwarze Meer zurückbringen. Sie, die mit vollen Taschen kommen und alles mitbringen, was nicht niet- und nagelfest ist, um es hier anzubieten, Plunder und Ramsch und manchmal Antikes, und die Frauen oft auch sich selbst, zehn Dollar die Stunde, nun kehren sie zurück; wieder mit vollen Taschen, voll von all dem, was Istanbul auch in Fülle zu bieten hat: Sportzeug, Spielzeug und Radios, Jogginganzüge und Nylonwäsche, Nylontaschen und Taschenrechner, um es weiterzuverkaufen in jenem Riesenreich, das einen fast achtzigjährigen Nachholbedarf hat für Derartiges.
    Draußen der Lärm ist unvermindert –
    Mein jubelndes Istanbul, kommst du denn niemals zur Ruhe?
    Ich öffne eine Flasche türkischen Wein – ein Sieg ist ein Sieg, der muss gefeiert sein!
    Auch wenn es ein kleiner ist gemessen an den Siegen, die ich diesem Land auch wünschen würde.
    Ich gieße ein in ein altes türkisches Glas – Şerefe!
    Ich trinke auf dieses Land!
    Ich trinke auf diese Stadt!
    Ich trinke auf das Leben in dieser Stadt!
    Und auf den Sieg des Lebens trotz allem!
    Und auf Swjatoslaw Richter trinke ich auch, weil er heute Abend so himmlisch gespielt hat, dass mir schien, es sei nicht menschenmöglich!
    Weil er dir – ach! – mit seiner Musik an die verbotene Tür gerührt hat.
    Noch immer gehen vereinzelt Leuchtraketen hoch, aber das Hupkonzert ebbt nun doch ab. Und durchs Fenster herein kommt Herbstkühle, mitsamt den ersten Braunkohlegerüchen – ja, der Winter ist nicht mehr weit. Aber noch hängt kein atemraubender Smog in den Straßen, und noch gießt es nicht so, dass Bäche die Gassen hinabstürzen, Müll und schmierigen Kohlenstaub mitreißend.
    Und: Noch immer kann ich gehen in dieser Stadt, wohin ich will – falls ich will.
    Nur eins kannst du nicht: aus deiner Haut heraus, falls sie dir zu eng ist oder zu blöd oder eben doch zu maßgeschneidert.
    Nein – auch er, der Alte, legt sich jetzt hin, mag sein, auch er selig von der Musik und von Wein; und morgen, wer weiß, was wird, und wie der neue Tag in neuem Licht –

SPÄTVORSTELLUNG
    Du bist verrückt, sagt mein Geliebter, als ich ihm erzähle, dass ich vom Şişli Kino zu Fuß nach Hause gegangen bin.
    Das Gedrängel bei den Taxis wollte ich nicht mitmachen heute, sondern lieber gehen. Weit ist es nicht, zwanzig Minuten vielleicht, ein bisschen Nachtluft und Bewegung würden mir guttun, dachte ich und ging mit raschen Schritten die große, breite Cumhuriyet Caddesi in Richtung Taksim Platz. Der Regen hatte aufgehört, nur feucht war es, so dass die Straße im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Autos glänzte. Ärgerlich zwar, dass die ihre Scheinwerfer aufblendeten, aber was soll’s! Einige allerdings verlangsamten ihre Fahrt, drehten die Scheiben runter und glotzten – bin ich denn ein Känguru, oder was glaubt ihr, wer ich sei! Ich wechselte die Straßenseite. Aber Rock ist Rock in der Nacht, und Blender sind Blender – sind zugeknöpfter Regenmantel und schneller Schritt nicht Zeichen genug? Ich nahm mir das Seidentuch vom Hals, band es à la turca um den Kopf – und tatsächlich: Es tat seine Wirkung! Also ging ich nun, Nachtluft und Bewegung doch noch einigermaßen genießend, über den Taksim Platz und hinunter nach Cihangir.
    Du bist wirklich verrückt, sagt mein Geliebter noch einmal, wie kannst du nachts alleine gehen, und auch noch mit Kopftuch!
    Und du bist, lache ich ihn aus, wie meine Freundin Nihal aus Antakya! Auch sie brach in helles Entsetzen aus, als ich mir ein Tuch um den Kopf band auf einem Spaziergang in der prallen Sonne. Alles darfst du hier, sagte sie, schließlich bist du mein Gast und genießt große Freiheit, besonders auch als Europäerin, nur eins: bitte kein Kopftuch!
    Nun lacht auch mein Geliebter; fragt dann aber doch, warum ich denn allein ins Kino gehe.
    Weil ich während der Filmfestspiele auch mal andere Filme sehen will als nur immer die amerikanischen Schinken und türkischen Schmachtfetzen.
    Versprich mir, dass du nächstes Mal anrufst, damit ich dich begleiten kann!
    Ich verspreche es.
    Obwohl ich nicht sicher bin, ob ich nicht doch auch hin und wieder allein ins Kino will.

MINIATUR AUF GOLDGRUND
    Sein Blick irritiert mich. Noch nie hier sah
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