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Mit Pflanzen verbunden

Mit Pflanzen verbunden

Titel: Mit Pflanzen verbunden
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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glaubst, Harald. Das ist der Materialismus des 19. Jahrhunderts, das ist der so genannte Reduktionismus. Egal, für mich sind Pflanzen Persönlichkeiten. Und mit dieser Auffassung bin ich im Einklang mit den Erfahrungen der meisten alten Kulturen, bei denen sie als mächtige Wesenheiten, als Devas, Gottheiten oder, im Sinne der christlichen Mythologie, als Ausdruck der Engel der höheren Hierarchien gelten. Wenn sie mit uns reden, dann ist es weniger in der Sprache unseres alltäglichen Verstandes, sondern sie durchfluten mit ihren Inspirationen die tiefen Regionen unserer Seele; Regionen sind das, die für die meisten von uns unbewusst sind. Yogis, Schamanen, Indianer auf Visionssuche und Meditierende können sie hören. Sie sprechen aus Dimensionen, die dem nahe kommen, was wir als Ewigkeit bezeichnen. Ja, sie selbst sind Brücken zu dieser Ewigkeit. Ihre physischen Körper – das sind die vielen sinnlich greifbaren grünen Pflanzen, denen wir tagtäglich begegnen – befinden sich in der Dimension der Zeit und Vergänglichkeit, aber ihre Seelen streifen diesen Körper nur, und wenn sie das tun, dann erblühen die sichtbaren Pflanzengebilde in frischen bunten Farben, duften und schwitzen süßen Nektar aus. Ihr Geist jedoch, ihr ‚Ich‘, bleibt ewig ungeboren, bleibt makrokosmisch und eins mit der Ewigkeit.“
    „Klingt reichlich mystisch, um nicht zu sagen psychiatrieverdächtig“, erwiderte er zweifelnd. „Du glaubst also, dass jede Pflanze eine Gottheit ist? Und du redest mit ihr? Wenn du sonst nicht so vernünftig wärst, könnte man Angst um dich kriegen.“
    Ich wollte ihm noch sagen, dass nicht die einzelne Pflanze ein Deva ist, aber jede Art. So ist der Deva der Kartoffel mit jeder Kartoffelstaude auf der ganzen Welt verbunden und jedes Gänseblümchen ist Teil des Gänseblümchenarchetypus. Aber darauf wollte er sich nicht weiter einlassen.
Geheime Herrscher
    Pflanzen haben die Geschicke ganzer Nationen beeinflusst. Wegen Gewürzen zogen die ersten Entdecker, wie Christoph Kolumbus, Vasco da Gama und andere, aus und erschütterten mit ihren Entdeckungen das herkömmliche Weltbild des christlichen Universums. Kartoffeln, Mais, Bohnen und andere Nahrungspflanzen aus der Neuen Welt ermöglichten eine weltweite Bevölkerungszunahme von vorher unbekanntem Ausmaß. Der Anbau von Zuckerrohr, später Tabak und Baumwolle entvölkerte weite Teile Afrikas, da man Arbeitssklaven in der Neuen Welt brauchte. Ohne diese Pflanzen hätte es keinen Reggae, Kalypso, Blues, Jazz oder Samba gegeben; ohne Hopfen und Malz keine bayrische Blasmusik; ohne den Kaffeestrauch keine Bachkantaten; ohne indischen Hanf keine hingebungsvollen Ragas und Bhajans. Und die Kartoffel! Wegen ihr sind Abermillionen verarmte Nordeuropäer, vor allem Iren, in die Neue Welt ausgewandert und haben die fast ausgerotteten Indianer ersetzt. Pflanzen bestimmten die Wanderrouten der frühmenschlichen Jäger und Sammler in größerem Maße als die Tiere, die gejagt wurden. Diese selbst wanderten ja von Weidegrund zu Weidegrund. Kulturanthropologen sind sich einig, dass, ganz allgemein gesprochen, bei den Naturvölkern rund 80Prozent der Nahrung aus Pflanzen besteht, die vor allem von Frauen gesammelt werden. Fleisch, von den Männern gejagt, macht dagegen nur rund 20 Prozent aus (Storl 1997: 13).
    Aus einer globalen Perspektive betrachtet, verhält es sich wirklich so, als würde unser Leben von den Pflanzen beherrscht. Sehr viel länger als der Mensch haben die Pflanzen die Erde bewohnt, ja, diese für uns und die Tiere erst bewohnbar gemacht. Warum sollte man diesen alten Wesen die Weisheit absprechen? Sie herrschen weise, so weise – im Sinn des Tao Te King –, dass man ihre Herrschaft gar nicht bemerkt:
    Die Meister stehen über dem Volk
und niemand fühlt sich unterdrückt.
Sie gehen dem Volk voran,
und niemand fühlt sich manipuliert.
Die ganze Welt ist ihnen dankbar.
Da sie mit niemandem in Wettstreit treten,
kann niemand mit ihnen wettstreiten.
    Laotse, Tao Te King 66, (S. Mitchell, Hrsg.)
Resonanzen
    Warum sollte man nicht alle Pflanzen lieben? Jede ist ein Gedanke Gottes, jede ein Geschenk. Der Begriff „Unkräuter“, weeds, mauvaises herbes, entstammt einem naturentfremdeten Denken. Wie gegen einen bösen Feind gehen viele Gartenbesitzer und Rasenfetischisten, hochgerüstet mit einem Arsenal von Giftspritzen und motorisierten elektrischen Trimmern, gegen ihre grünen Widersacher vor. Einer unserer Nachbarn in Ohio starb an
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