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Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan

Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
Autoren: Kathy Reichs
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billigen Rahmen aufbewahrt.
    Slidell nahm ein Kissen in die Hand, hob die Augenbrauen und stellte es zwischen uns. »Gott ist Liebe«, mit blauem und grünem Faden gestickt. Melbas Handarbeit?
    Die Traurigkeit, die ich schon den ganzen Vormittag spürte, verstärkte sich noch bei dem Gedanken an sechs Kinder, die ihre Mutter vermissten. Und bei dem Gedanken an Tamelas verlorenes Baby.
    Das Kissen. Die Fotos. Die Erinnerungsstücke an Schule und Sportmannschaft. Von dem Porträt des schwarzen Jesus über dem Durchgang abgesehen, hätte ich auch im Wohnzimmer meiner Kindheit in Beverly im südlichen Chicago sitzen können. Beverly stand für schattige Bäume und Kuchenbasare des Elternbeirats und Morgenzeitungen auf der Veranda. Unser winziger Ziegelbungalow war mein Green Gables, meine Ponderosa, mein Raumschiff Enterprise, bis ich sieben Jahre alt war. Bis die Verzweiflung über den Tod ihres jüngsten Sohnes meine Mutter zurücktrieb in ihr geliebtes Carolina und Gatte und Töchter ihrem Trauerzug folgten.
    Ich liebte dieses Haus, fühlte mich darin beschützt und geliebt. Ich spürte, dass diesem Ort ähnliche Gefühle anhafteten.
    Slidell zog sein Taschentuch heraus und wischte sich das Gesicht.
    »Hoffentlich hat der alte Mann das klimatisierte Schlafzimmer.« Aus dem Mundwinkel heraus gesprochen.»Bei sechs Kindern kann er wahrscheinlich von Glück reden, wenn er überhaupt ein eigenes Schlafzimmer hat.«
    Ich ignorierte ihn.
    Die Hitze verstärkte die Gerüche in dem winzigen Haus. Zwiebeln. Bratöl. Möbelpolitur. Und was immer zum Wischen des Linoleums benutzt wurde.
    Wer es wohl wischte, fragte ich mich. Tamela? Geneva? Banks selbst?
    Ich betrachtete den schwarzen Jesus. Dieselbe Kutte, dieselbe Dornenkrone, dieselben geöffneten Handflächen. Nur die Afrofrisur und die Hautfarbe unterschieden ihn von dem Jesus, der über dem Bett meiner Mutter gehangen hatte.
    Slidell seufzte hörbar, schob sich einen Finger in den Kragen und zog ihn vom Hals weg.
    Ich musterte das Linoleum. Ein Kieselmuster, grau und weiß.
    Wie die Knochen und die Asche aus dem Holzofen.
    Was sollte ich sagen?
    In diesem Augenblick ging die Tür auf. Ein Gospel-Chor sang »Going on in the Name of the Lord«. Das Schlurfen weicher Sohlen auf Linoleum.
    Gideon Banks sah kleiner aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, nichts als Knochen und Sehnen. Das war irgendwie falsch. Verkehrt. In seinen eigenen vier Wänden hätte er größer wirken müssen. König seines Reiches. Familienoberhaupt. Täuschte mich mein Gedächtnis? Hatte das Alter ihn schrumpfen lassen? Oder die Sorgen?
    Banks blieb zögerlich im Durchgang stehen und blinzelte durch dicke Brillengläser. Dann richtete er sich auf, ging zu einem Sessel und sank hinein. Seine knorrigen Hände umklammerten die Armlehnen.
    Slidell beugte sich vor. Ich schnitt ihm das Wort ab.
    »Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen, Mr. Banks.«
    Banks nickte. Er trug Hush Puppy Slippers, eine graue Arbeitshose und ein orangenes Bowling-Hemd. Seine Arme ragten wie dürre Zweige aus den Ärmeln.
    »Sie haben ein wunderbares Heim.«
    »Vielen Dank.«
    »Leben Sie schon lange hier?«
    »Im November siebenundvierzig Jahre.«
    »Ich musste mir einfach Ihre Fotos ansehen.« Ich deutete auf die kleine Sammlung. »Sie haben eine wunderschöne Familie.«
    »Jetz sin nur noch Geneva und ich hier. Geneva is die Zweitälteste. Sie hilft mir. Tamela is die Jüngste. Is vor ein paar Monaten weg.«
    Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, dass Geneva sich in den Durchgang stellte.
    »Ich denke, Sie wissen, warum wir hier sind, Mr. Banks.« Ich wusste nicht so recht, wie ich anfangen sollte.
    »Ja, ich weiß. Sie suchen nach Tamela.«
    Slidell räusperte sich ungeduldig.
    »Es tut mir sehr Leid, Ihnen das sagen zu müssen, Mr. Banks, aber in dem Material, das im Ofen von Tamelas Wohnzimmer sichergestellt wurde …«
    »War nich Tamelas Wohnung«, warf Banks dazwischen.
    »Der Mieter war ein gewisser Darryl Tyree«, sagte Slidell.
    »Nach Zeugenaussagen lebte Ihre Tochter seit etwa drei Monaten bei Mr. Tyree.«
    Banks nahm den Blick nicht von meinem Gesicht. Ein Blick voller Schmerz.
    »War nich Tamelas Wohnung«, wiederholte Banks. Sein Tonfall war nicht zornig oder streitlustig, eher der eines Mannes, der auf korrekten Angaben bestand.
    Mein Hemd klebte am Rücken, der billige Stoffbezug der Armlehne scheuerte an meinen Unterarmen. Ich atmete durch und setzte noch einmal an.
    »In dem Material, das im Ofen dieses
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