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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
Autoren: Matt Beynon Rees
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sie nicht recht zuordnen. Am Ende seines vorgestreckten Arms hielt der Junge einen Kopf. Er war bislang noch nicht weiter ausgeführt. Er ragte aus der Dunkelheit des Hintergrunds als eine Masse ungekämmten Haars mit einem Bart hervor. Die Grundfarbe des Gesichts war schon zu einem Gelbbraun getrocknet.
    «Das ist doch David mit dem Haupt von Goliath, nicht wahr, Michele?», sagte sie.
    Caravaggio arbeitete weiter. «Ganz recht, Herrin.»
    Sie hatte schon viele Davids gesehen, aber noch nie einen wie diesen. Üblicherweise war David eine triumphierende Gestalt, der behelmte Krieger des alten Maestro Donatello oder der muskulöse Riese des göttlichen Michelangelo, den sie auf einem Platz in Florenz gesehen hatte. «So, wie du ihn gemalt hast, sieht David traurig aus.»
    Costanza versuchte sich daran zu erinnern, wie Caravaggio als Kind ausgesehen hatte.
Auf dem Bild sieht man mehr als nur eine Spur des Jungen
, dachte sie,
den ich vor so vielen Jahren aufgenommen habe
. «Bist du das, Michele?»
    Er drehte sich zu ihr um. Überrascht trat sie einen Schritt zurück. Die Wunde auf seinem Gesicht, das schielende Auge, die hängenden Schultern und die Narben – all das ließ sie erschrecken.
    «Der Junge sieht so aus wie du früher.» Sie zeigte mit zitterndem Finger auf die Leinwand.
    «Ihr irrt Euch, Herrin.»
    Das Modell unterbrach seine Pose und griff nach einer Frucht in einer neben ihm stehenden Schale. Er warf eine Weintraube in die Luft und fing sie mit dem Mund auf.
    «Halt still», sagte Caravaggio.
    Er fuhr mit dem Pinsel über die Palette, um mit den Borsten Farbe aufzunehmen. «Herrin, ich muss mit meiner Arbeit vorankommen. Wie es aussieht, werde ich die ganze Nacht hier sein. Ich muss rechtzeitig fertig werden, um morgen mit Pater della Corbara in See stechen zu können.»
    «Wird die Farbe bis dahin trocken sein? Die Zeit reicht doch gewiss nicht aus.»
    «Herrin, bitte!» Er trat von einem Fuß auf den anderen und schien sich zu schämen, laut geworden zu sein. «Es gibt Methoden,die Leinwände so zu verpacken, dass die Bilder nicht beschädigt werden, selbst wenn die Ölfarbe noch nicht ganz trocken ist. Aber jetzt, bitte, Euer Gnaden.»
    Als sie zur Treppe ging, bückte er sich, um die Glanzpunkte auf dem Tuch zu arrangieren, das über die Schulter des Jungen drapiert war. Sie war sich sicher, dass dieser David ein Meisterwerk werden würde. Er würde mit den Traditionen brechen, in denen der biblische König schon so oft porträtiert worden war. Sie sah, wie sich Caravaggios Rückenmuskeln unter dem leichten Arbeitskittel bewegten. Für diesen Mann, dessen Genius vielleicht sogar Fabrizio retten konnte, empfand sie große Liebe. Auch in seiner hartnäckigen Plackerei erkannte sie Liebe.
Es spielt keine Rolle, was vor all den Jahren geschehen ist. Meine Jungen haben sich geliebt, und diese Liebe hat überdauert.
    «Michele!», rief sie.
    Er legte den Kopf in den Nacken und seufzte ungeduldig.
    «Danke.»
    Die über ihm hängende Laterne verschattete seine Augen, doch sie fühlte sich zu ihnen hingezogen. Sie fragte sich, ob er sich wünschte, dass sie in diese dunklen Gänge eindrang und ihnen bis in sein Herz folgte, das ihr so oft verborgen geblieben war.
    Der Junge griff nach einer weiteren Traube. Als sie von seinen Lippen abprallte und über den Boden rollte, lachte er.
    «Gute Nacht, Herrin.» Caravaggio wandte sich wieder der Leinwand zu.
    ∗
    Unter der Loggia des Palazzo Stigliano wurde der Karren mit seinen wenigen Habseligkeiten beladen. Caravaggio warf eine zusammengerollte Leinwand dazu und ging dann zu Costanza. Er ging gebeugt. Sein Rumpf schien in seine Hüften gesackt zusein. Er sah aus, als hätte ihn die Vollendung der Gemälde für Scipione die Kraft eines ganzen Lebens gekostet.
    «Hast du den Schutzbrief von Kardinal del Monte?» Costanza ergriff seine Hände.
    «Habe ich, Herrin.»
    «In einem Tag wirst du in Rom sein, sicher vor Gefahr, begnadigt für – für diesen Kampf. Ein freier Mann.»
    Der Papst mag mir meine Sünden vergeben
, dachte Caravaggio,
aber meine inständigsten Gebete muss ich an Gott und an Lena richten.
Er verbeugte sich vor Costanza.
    Sie zog ihn zu sich heran und berührte mit dem Mund die Narbe auf seiner Wange. Ein Pfeil der Einsamkeit durchbohrte ihn.
    «Hast du auch die Gemälde für Kardinal Scipione?», sagte sie.
    Er griff über die Seitenwand des Karrens und tippte mit der Hand auf das braune Gewebe der verschnürten Leinwand. «Der heilige
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