Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge
Autoren: Elizabeth Strout
Vom Netzwerk:
Kitteridge dem jungen Mann die Ketchupflasche reichte und sie dabei umstieß, so dass die Sauce wie angedicktes Blut auf den Eichentisch schwappte. Er wollte sie aufheben, bekam sie aber nicht richtig zu fassen, und Ketchup landete auf seinen Fingern und dann auf seinem weißen Hemd.
    »Lass mich das machen«, befahl Olive und stand auf. »Lass es einfach mich machen. Herr gott noch mal, Henry.« Und Henry Thibodeau - vielleicht weil er in so scharfem Ton seinen Namen hörte - setzte sich gerade hin und schaute schuldbewusst drein.
    »Ach je, was bin ich ungeschickt«, sagte Henry Kitteridge.
    Zum Nachtisch bekam jeder ein blaues Schälchen in die Hand gedrückt, in dem eine Kugel Vanilleeis herumrutschte. »Vanille mag ich am liebsten«, sagte Denise.
    »So ein Glück aber auch«, sagte Olive.
    »Genau wie ich«, sagte Henry Kitteridge.
     
    Als der Herbst kam und es morgens später hell wurde und die Apotheke nur einen schmalen Keil Sonnenlicht abbekam, bevor die Sonne über das Haus davonwanderte und der Laden nur noch von den Deckenlampen erhellt wurde, befüllte Henry auf seinem Podest an der Rückwand die kleinen Plastikfläschchen und ging ans Telefon, während Denise vorn bei der Kasse die Stellung hielt. Mittags packte sie das belegte Brot aus, das sie sich von zu Hause mitbrachte, und aß es hinten im Lager, und danach holte er sein Mittagessen heraus, und manchmal, wenn niemand im Laden war, besorgten sie sich noch einen Kaffee im Lebensmittelgeschäft nebenan. Denise schien von Natur aus still, aber sie neigte zu
plötzlichen Ausbrüchen von Mitteilsamkeit. »Meine Mutter hat seit vielen Jahren MS, wissen Sie, deshalb mussten wir alle schon sehr früh mit anpacken. Meine Brüder sind alle drei vollkommen unterschiedlich. Finden Sie es nicht auch seltsam, wenn das so kommt?« Der älteste Bruder, erzählte Denise, während sie eine Shampooflasche gerade rückte, sei der Liebling ihres Vaters gewesen, bis er ein Mädchen heiratete, das der Vater nicht leiden konnte. Sie selbst habe wunderbare Schwiegereltern, sagte sie. Sie habe einen Freund vor Henry gehabt, der Protestant war, und seine Eltern hätten sie längst nicht so nett behandelt. »Es hätte nie funktioniert«, sagte sie und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
    »Ja, Henry ist ein fabelhafter junger Mann«, antwortete Henry.
    Sie nickte und lächelte hinter ihrer Brille wie eine Dreizehnjährige. Wieder stellte er sich den Trailer vor, sah die zwei vor sich, wie sie sich darin balgten wie übergroße Welpen; er hätte nicht zu sagen vermocht, warum ihn bei dem Gedanken ein solches Glücksgefühl durchströmte, wie flüssiges Gold kam es ihm vor.
    Sie war so tüchtig wie Mrs. Granger, aber lockerer. »Im zweiten Gang, gleich unter den Vitaminen«, sagte sie einer Kundin. »Hier, ich zeig’s Ihnen.« Einmal erzählte sie Henry, dass sie die Leute manchmal ein wenig herumspazieren lasse, bevor sie sie fragte, ob sie ihnen helfen könne. »Auf diese Weise stolpern sie vielleicht über das eine oder andere, das sie auch noch brauchen können. Und dann steigt Ihr Umsatz.« Die Wintersonne spannte ein Trapez über das Regal mit den Kosmetikprodukten; ein Bodenstreifen leuchtete wie Honig.
    Er zog beifällig die Brauen hoch. »Das war ein Glückstag für mich, Denise, als Sie durch diese Tür gekommen sind.« Sie schob mit dem Handrücken die Brille höher und fuhr mit dem Staubwedel über die Salbentiegel.

    Jerry McCarthy, der Junge, der einmal die Woche - bei Bedarf öfter - die Arzneimittel aus Portland anlieferte, machte gelegentlich auch im Lager Pause. Er war achtzehn und frisch mit der High School fertig, ein großer dicker Junge mit einem glatten Gesicht, der ganze Teile seines Hemds durchschwitzte, manchmal bis über seine Schwabbelbrüste hinab, so dass es aussah, als gäbe der arme Kerl Milch. Auf einer Holzkiste hockend, die dicken Knie fast auf Ohrenhöhe, futterte er Sandwiches, aus denen mayonnaisetriefende Brocken von Eiersalat oder Thunfisch entwischten und auf seinem Hemd landeten.
    Ab und zu bekam Henry mit, wie Denise ihm eine Papierserviette hinstreckte. »Das passiert mir auch ständig«, hörte er sie eines Tages sagen. »Sobald ich ein Sandwich zu essen versuche, auf dem nicht nur Aufschnitt ist, bekleckere ich mich von oben bis unten.« Es konnte unmöglich stimmen. Blitzgescheit war sie vielleicht nicht, aber auf jeden Fall blitzsauber.
    »Guten Tag«, sagte sie, wenn das Telefon klingelte. »Hier ist die Stadtapotheke.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher