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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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selbstmordgefährdet war.«
    Sheppard und Hastroll drehten sich um und betrachteten Pepin, der unverwandt zurückstarrte.
    »Was meinst du, Sam? Was sagt das bewährte Bauchgefühl?«
    »Ich würde mich hier gern noch ein bisschen umsehen.«
    »Einverstanden«, sagte Hastroll.
    »Ward, du versuchst, die EpiPen-Spritzen zu finden. Lass sie auf Fingerabdrücke untersuchen.«
    »Die Zivilfahnder sind schon dabei.«
    »Such seine Hände nach Spuren von Salz oder Erdnüssen ab.«
    »Schon passiert«, sagte Hastroll. »Seine Hände sind sauber.«
    »Überprüft die Waschbecken. Vielleicht hat er sich die Hände gewaschen. Stellt alle Seifenstücke und Handtücher sicher.«
    Hastroll hielt einen Plastikbeutel in die Höhe. Die Handtücher darin waren blutverschmiert.
    »Was ist mit möglichen Spuren unter seinen Fingernägeln?«, fragte Sheppard.
    Hastroll ließ ein riesiges Klappmesser aufschnappen. »Gute Idee.«
    »Und dann nehmt ihr ihn mit zum Verhör«, sagte Sheppard.
     
    In der Küche der Pepins suchten die Kriminaltechniker nach Fingerabdrücken, sie bestäubten die Scherben des zerbrochenen Tellers, sie wischten Blutproben aus Alice’ Mundwinkeln und von ihren Zähnen. Zwei Männer aus der Rechtsmedizin waren mit einer Trage gekommen und warteten draußen, während der Polizeifotograf seine Bilder machte. Als er fertig war, zogen die Rechtsmediziner die Umrisse der Leiche mit Kreide nach. Während sie den Leichensack unter die Tote schoben, studierte Sheppard ihr Gesicht. Die Lippen standen vom Zahnfleisch ab, die entblößten Zähne waren immer noch gefletscht, und die Hände umklammerten den Hals, als wollten sie das Hindernis aus der Luftröhre quetschen wie einen Splitter aus dem Finger. Ganz und gar nicht das Gesicht einer Selbstmörderin, dachte Sheppard. Selbstmörder wirkten meistens schläfrig und mürrisch. Müde. Kaputt. So, als wären sie eingedöst, plötzlich wie ein Narkoleptiker. Sheppard konnte sich besonders gut an den Fall einer jungen Frau erinnern, die von ihrem Freund verlassen worden und daraufhin von der Aussichtsplattform des Empire State Building gesprungen und auf dem Dach eines Taxis gelandet war. Ihre linke Hand hatte sie zur Faust geballt und ans Herz gedrückt, die rechte lag, entspannt und leicht geöffnet, auf ihrer Stirn. Sheppard hatte den Eindruck, sie würde aufwachen, vom Taxidach klettern und nach Hause gehen, wenn er sie auch nur anstupsen würde. Oder der Manager, der sich in seinem Büro eine Pistole an die linke Schläfe gesetzt und sich das Hirn weggepustet hatte. Die Wand zu seiner Rechten war mit grauer Masse und Blut bespritzt und sah aus, als hätte man eine vor Farbe triefende Bürste gegen eine Leinwand geschleudert. Sicher, er hatte nur noch ein halbes Gesicht, immerhin hatte er sich die eine Kopfseite komplett weggesprengt; aber die Überreste verrieten keine Spur von Angst oder Schmerz.
    »Hübsches Ding«, sagte einer der Rechtsmediziner. Er war noch jung, Anfang zwanzig. Er kniete zu ihren Füßen. »Hat ihr Mann sie um die Ecke gebracht?«
    »Sie hat eine Erdnuss gegessen«, sagte Sheppard.
    »Ach was!«, sagte der Junge. Er griff nach dem steifen Bein der Leiche und schob es in den Plastiksack.
    »Eine Erdnuss kann tödlich sein«, sagte der ältere Kollege. »Stimmt’s, Detective?«
    Aber Sheppard hörte gar nicht zu.
    Der Junge verstaute auch das zweite Bein, dann beide Ellenbogen. Der zweite Rechtsmediziner schlug die oberen Enden des Plastiksacks über die Schultern der Leiche und zog den Reißverschluss zu. Die drei Männer starrten auf das schwarze, formlose Bündel hinab.
    Der junge Rechtsmediziner bückte sich. »Auf drei«, sagte der andere, und mit einer geübten Bewegung hoben sie den Sack sicher auf die Trage und rollten die Tote hinaus.
    Sheppard starrte die Kreidesilhouette minutenlang an. Er bekam den Gesichtsausdruck der toten Frau nicht wieder aus dem Kopf. Als er durch die Wohnung ging, tauchte ihr verzerrtes Antlitz in allen Fotos auf, wie durch einen furchtbaren Spezialeffekt, es schob sich über die gerahmten Schnappschüsse, die an den Wänden hingen und auf den Beistelltischen standen, über die Polaroids an der Kühlschranktür, die allesamt Alice Pepin neben ebendiesem Kühlschrank zeigten und auf denen jeweils handschriftlich die Wochenzahl und das erreichte Gewicht notiert waren. Die Serie war in horizontalen Reihen angeordnet und ergab das Protokoll einer Verwandlung. Alice wirkte mit voranschreitender Zeit zunehmend
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