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Miss Seetons erster Fall

Miss Seetons erster Fall

Titel: Miss Seetons erster Fall
Autoren: Heron Carvic
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unnötig. Wissen Sie noch, was Sie damit gemeint haben?«
    Der Sergeant zuckte zusammen. Bitte nicht – nicht noch mal.
    »Aber das hat mit ihm nichts zu tun«, erklärte sie. »Das war der andere.«
    »Der andere?« Delphicks Ton war scharf. Beide Männer erstarrten wie Jagdhunde, die etwas wittern. »Don Jose, im letzten Akt«, erklärte sie. »Ah so.« Der Superintendent entspannte sich. Er blätterte in den Papieren. »Zu Anfang Ihrer Aussage heißt es: Ich kam von der Ecke Lang Acre … Sie sind also von Covent Garden gekommen. Sie waren in ›Carmen‹?«
    »Ja, natürlich.«
    »Natürlich.« Er nickte. »Und da muß ich Ihnen recht geben: – daß er sie erdolcht, ist sehr unnötig. Wenn er sich schon so albern benehmen muß, dann hätte er sich am Schluß lieber um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und sich selber erdolchen sollen. Viel sinnvoller, aber nicht ganz so dramatisch.«
    Sergeant Ranger überlas seine letzten Notizen. Er fühlte sich schwerelos, ein unangenehmes Gefühl. Wolkenkuckucksheim? Oder Weltraum.
    Der Superintendent griff sich einen Zettel. »Würden Sie mir bitte Ihre Adresse auf dem Land geben, für den Fall, daß ich mich vor dem Inquest mit Ihnen in Verbindung setzen muß?«
    »Inquest?« fragte sie.
    »Die außergerichtliche Verhandlung, bei der die Todesursache festgestellt wird«, erklärte der Superintendent.
    »Ach ja, natürlich. Daran habe ich nicht gedacht. Muß ich denn dabei sein?«
    »Leider ja. Aber es dauert nicht lange und geht bestimmt glatt. Haben Sie vor, länger fortzubleiben?«
    »Nur drei Wochen. Ich habe ein Häuschen auf dem Land. Die Adresse: Sweetbriars, Plummergen, Kent.«
    »In Ihrer Handtasche ist nichts, worauf diese Adresse steht – oder zufällig doch?« fragte Delphick rasch.
    »Nein, in meinen Kalender habe ich sie noch nicht eingetragen. Es hätte so endgültig ausgesehen, irgendwie. Wissen Sie, ich habe noch gar nicht das Gefühl, Hausbesitzerin zu sein. Dabei gehört es mir doch – aber noch nicht lange. Meine Patentante, eine Kusine meiner Mutter, ist kürzlich gestorben und hat es mir hinterlassen – sie hat dort fast ihr ganzes Leben zugebracht – und auch ein bißchen Geld, was es erst möglich macht, ich meine, dauernd da zu leben. Ich hatte schon überlegt, ob ich mich nächstes Jahr pensionieren lassen soll – obwohl man nie recht weiß, was das Beste ist, und dann auch wieder, ob es mit dem Geld geht. Und das war jetzt tatsächlich wie ein Geschenk des Himmels. Und weil ich von morgen an Urlaub habe, dachte ich, ich verbringe ihn dort, um zu sehen, ob es mir gefällt. Mit dem Gedanken, dann dort hinzuziehen. Das heißt, wenn ich mich einleben kann.«
    »Haben Sie dort Telefon?«
    »Ja. Plummergen 35. Zum Glück hat meine Patentante Telefon legen lassen, wenn sie es auch in letzter Zeit sehr selten benutzt hat. Sie war 89, als sie starb, und fast taub.« Er stand auf. »Gut, Miss Seeton. Haben Sie vielen Dank. Ich meine das aufrichtig. Sie haben uns mehr geholfen, als ich hoffen durfte. Bestimmt viel mehr, als wir erwarten konnten.« Sie erhob sich und zog die Handschuhe an. »Wegen des Inquest benachrichtigen wir Sie rechtzeitig, und dabei sehen wir uns dann. Hoffentlich brauchen wir Sie vorher nicht zu stören. Allerdings – wenn wir Glück haben und Lebel erwischen, müßten wir uns unter Umständen wegen der Identifizierung an Sie wenden. Das hängt davon ab, was für eine Geschichte er zusammenbraut. Unterdessen wünsche ich Ihnen, daß Sie den unangenehmen Vorfall vergessen und das Landleben recht genießen.« Er gab ihr die Hand. »Der Sergeant bringt Sie hinunter und sagt der Beamtin Bescheid, die bei Ihnen bleiben soll. Der Wagen wartet schon.«
    Miss Seeton ging zögernd, wie geistesabwesend, zur Tür. Sergeant Ranger holte ihren Schirm und beugte sich aus seiner überragenden Höhe zu ihr hinab. »Ihr Seitengewehr, madam. «
    Sie dankte ihm mit unsicherem Lächeln und drehte sich noch einmal um. »Sie waren sehr liebenswürdig, Superintendent. Entschuldigen Sie, daß ich noch einmal darauf zurückkomme, aber ich weiß nicht, wie ich ohne Schlüssel.«
    »Keine Sorge.« Er grinste. »Sie werden sehen, daß es der Polizei so oder so gelingt, Ihnen die Tür aufzumachen. Trotzdem wäre es mir lieb, wenn Sie vor Ihrer Abreise morgen früh ein neues Schloß anbringen ließen.«
    Er blickte ihr nach, als der Sergeant sie hinausbegleitete und die Tür zumachte. Reizende alte Dame. Originell, irgendwie. Die Nacht über, mit einer
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