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Miss Seeton und der Hexenzauber

Titel: Miss Seeton und der Hexenzauber
Autoren: Heron Carvic
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aber sobald man sie losließ, verfielen sie wieder in ihr grausiges Ritual und tanzten und sangen.
    »Es hat keinen Sinn«, keuchte der junge Mann, »wir müssen sie hierlassen.«
    Miss Seeton dachte verzweifelt nach. Sie hatte sich einmal von den Flammen in die Flucht schlagen lassen und einem Menschen nicht geholfen, jetzt mußte sie sich etwas einfallen lassen, wie sie die anderen retten konnte.
    Es mußte doch Mittel und Wege geben … wenn sie nur logisch und ruhig über alles nachdenken könnte. Ihre Umgebung war nicht dazu angetan, logisches Denken zu fördern, und von Ruhe konnte erst recht keine Rede sein.
    Mrs. Beetons Behauptung, die sie in ihrem Haushaltsbuch aufgestellt hatte, war widerlegt worden: Ein Feuer konnte nicht nur aufflammen und niederbrennen – dieses hier breitete sich in alle Richtungen aus. Nur die Lichtung, auf der sie standen, war verschont geblieben, ansonsten stand alles, soweit man sehen konnte, in Flammen. Es schien, als würde der ganze Wald lichterloh brennen, und die Hitze wurde allmählich unerträglich. Aber diese armen, verblendeten Kreaturen schienen nichts anderes im Sinn zu haben, als sich an den Händen zu halten und zu tanzen.
    Sehr gut, dachte Miss Seeton, dann sollten sie weiter  tanzen, und sie würde den Reigen anführen.
    »Binden Sie sie an den Handgelenken aneinander«, befahl sie, »und befestigen Sie irgend etwas an dem ersten Mann, an dem ich ihn festhalten kann – ein langes Band oder so was. Wenn ich dann vorangehe, müssen sie mir alle nachkommen. Sie halten sich am Ende der Schlange und passen auf, daß niemand stehenbleibt oder aus der Reihe ausbricht.«
    Instinktiv hatte Miss Seeton den richtigen Ton gefunden, der den jungen Mann zum Handeln zwang. Die Regeln von Nuscience wurden strikt eingehalten, und die jungen Leute waren auf Gehorsam getrimmt und daran gewöhnt, das zu tun, was man ihnen sagte. Die alte Lehrerin hingegen wußte, wie man mit ungezogenen Kindern umzugehen hatte, und bald gelang es ihr, einigermaßen Ordnung in das Chaos zu bringen. Der junge Mann kramte in den Kleiderhaufen herum, zog Schnürsenkel aus den Schuhen, fand Gürtel und riß Hemden in Streifen. Miss Seeton wurde bewußt, daß sie noch immer den Metallrahmen ihres Regenschirms in den Händen hielt – der Nylonstoff war zu Fetzen und Klumpen geschmolzen.
    Sie ließ das nutzlose Skelett fallen und eilte ihrem neuen Schüler zu Hilfe. Es gelang ihnen, die widerspenstige Gesellschaft in einer Reihe auszurichten. An die Hand der Frau, die als erste ging, banden sie einen elastischen Gürtel von irgendeiner Hose, und Miss Seeton ergriff diese Leine, um den Zug hinter sich in Bewegung zu setzen.
    »Und jetzt zeigen Sie mir diesen Weg, von dem Sie vorhin gesprochen haben«, befahl sie.
    Er deutete in Richtung Süden. Dort mündete ein Pfad in die Lichtung, den jemand ins Unterholz geschlagen hatte.
    Rechts, links und über diesem Weg schlugen die Flammen zusammen. Es war schrecklich und sah gefährlich aus,  aber es war der einzige Ausweg aus dieser Hölle, und wie es schien, war der Pfad einigermaßen passierbar. Der junge Mann zog seine Jacke aus und hängte sie über Miss Seetons Arm.
    »Nehmen Sie das, um Ihr Gesicht zu schützen, und jetzt sehen wir, um Himmels willen, zu, daß wir endlich von hier verschwinden.« Er rannte ans Ende der  Menschenschlange, um darauf zu achten, daß alle in Reih und Glied blieben.
    Miss Seeton zögerte noch. Ihr war bewußt, daß die Leute eine Ermutigung brauchten, aber ihr fielen nur die Worte der Sportlehrerin von der kleinen Schule in Hampstead ein.
    »Hinter mir Aufstellung nehmen«, piepste sie schrill, aber ihre Stimme war so dünn, daß sie das Getöse nicht übertönen konnte, »und vorwärts, Marsch! «
    Sie kamen nur langsam und stockend voran. Die Hitze, die Funken, die einstürzenden Bäume, der Rauch, der Gestank nach versengtem Stoff und Fleisch … Die Jacke des armen Jungen … ein guter Stoff … Miss Seeton fürchtete, daß die Jacke kaputt war. Der Schmerz, den die nach ihren Händen und Beinen züngelnden Flammen verursachten, machte sie ganz benommen. Ihre
    Entschlossenheit war geschwunden, und nur ein  tiefsitzendes Pflichtbewußtsein bewahrte sie davor, ihre Bemühungen aufzugeben. Diese törichten Menschen wollten offensichtlich ins Feuer laufen, Miss Seeton versuchte, sich umzudrehen, um die Frau hinter ihr anzuschreien, aber der tosende Lärm um sie herum war so infernalisch, daß sie sich nicht verständlich
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