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Miss Seeton riskiert alles

Miss Seeton riskiert alles

Titel: Miss Seeton riskiert alles
Autoren: Heron Carvic
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vorhin das Mädchen an der Bar beobachtet hatte, hatte er die Szene im Geist gefilmt. Er ließ den Film im Zeitlupentempo noch einmal ablaufen. Aber das führte zu nichts. Dagegen erhielt er eine Antwort, als er ihn mit doppelter Geschwindigkeit abspulte. Die unaufhörliche Bewegung der Hände, die mit ihrer Zigarette, ihrem Glas spielten, ihr Haar zurückstrichen oder darüber hinwegfuhren, die Tätigkeit der Finger in der Unterhaltung mit dem Barmixer ließen deutlich eine nervöse Spannung erkennen. Dieses Mädchen war nervös – erschrocken. Ihrer augenblicklichen Reaktion konnte man entnehmen, daß der Mann, der gerade mit ihr gesprochen hatte, eine mögliche Ursache war. Er sah den Mann an und trat Miss Seeton auf den Fuß.
    Ja, natürlich – das war das vereinbarte Signal! Miss Seeton warf einen Blick auf ihren Begleiter und sah, daß er den Fremden anstarrte. Dies mußte also der Mann sein, dessen Gesichtszüge sie sich einprägen sollte. Ein schöner Mann, wenn man den Typ mochte. Und er hatte das Mädchen Deirdre genannt. So ein hübscher Name! Und so passend. Wenn sie sich recht erinnerte, bedeutete er »die, die zornig ist«. Was auch wiederum in gewissem Sinne zutraf. Obwohl sie überzeugt war, daß das Mädchen sich fürchtete, spürte man doch einen unterschwelligen Zorn. Sie selbst machte sich nichts aus diesem Typ. Räuberisch, wie ein – wie ein Falke, der sich anschickte, herabzustoßen. Oder – war das zu phantasiereich? – nach dem Druck der Finger auf die Schulter des Mädchens zu schließen, wie ein Falke, der schon herabgestoßen war.
    »Was für eine angenehme Überraschung«, fuhr der Fremde fort. »Ich wußte nicht, daß Sie spielen.«
    Das Mädchen schüttelte seine Hand ab. »Ich dachte, es sei an der Zeit, es zu lernen.«
    Er lachte. »In der Hoffnung, daß das Rad der Zeit sich zu Ihren Gunsten dreht? Sie müssen vorsichtig sein, meine Liebe. Ihre Mutter hat viele Sorgen: zuerst mit dem jungen Derrick, der sich so dumm benimmt, dann der Unfall Ihres Vaters. Es tat mir leid, als ich es las. Aber glücklicherweise ist es nach allem, was die Zeitungen berichten, nicht so schlimm. Bitte, grüßen Sie ihn von mir. Versuchen Sie nicht, zu hoch zu setzen. Wir können nicht zulassen«, sein Ton wurde unverhohlen tadelnd, »daß Sie leichtsinnig werden. Und vergessen Sie nicht: aller guten Dinge sind drei – auch bei Unannehmlichkeiten.« Dann im glatten gesellschaftlichen Unterhaltungston: »Doch genug der Probleme. Wollen Sie mich nicht Ihren Freunden vorstellen?«
    Offensichtlich widerstrebend antwortete sie: »Mrs. Herrington-Casey, ich habe das Vergnügen«, sie sagte dies schnell und sarkastisch, »Ihnen Mr. Thatcher vorzustellen. Mr. Thatcher – Mr. Haley.«
    Thatcher verbeugte sich vor Miss Seeton. »Wir fühlen uns geehrt, Mrs. Herrington-Casey. Sie spielen selten in England. Sie werden sich nicht erinnern«, seine Augen funkelten spöttisch, »aber wir haben uns einmal in Monte Carlo flüchtig getroffen.« Er spielte mit seiner Unterlippe. »Oder war es Cannes?« Er lächelte. »Entschuldigung; ich darf Sie nicht stören. Es scheint, daß Sie im Augenblick gewinnen.« Er verbeugte sich wieder, breit grinsend. »Ich könnte Ihr Spiel verderben.«
    Das hatte eingeschlagen. Haley beobachtete Thatcher. Warum, zum Teufel, hatte das Archiv seine Schulaufgaben nicht ordentlich gemacht? Nach dem Foto zu schließen, das er von Mrs. Herrington-Casey gesehen hatte, sah Miss S. ihr ziemlich ähnlich. Wenn Thatcher ihr aber tatsächlich begegnet war… Naja, es konnte sein, daß sie nicht erkannt worden war; aber zu trauen war dem Kerl nicht – man konnte sich nicht darauf verlassen. Unangenehmer Typ. Besser, er nahm an, daß er sie durchschaut hatte. Zum Teufel, sie sollten lieber schnellstens verschwinden.
    Durch den Alkoholnebel hindurch begann es ihm zu dämmern. Er wußte, wer diese Deirdre war. Hatte sich schon gedacht, daß er dieses Gesicht kannte. Auf Fotos… in Illustrierten. Das schöne Gesicht, das er je… das schönste . Deirdre wurde unter seinem glasigen, starren Blick unruhig. Haley versuchte, sich zu konzentrieren. Sie war tatsächlich die Tochter des alten Lord Kenharding. Und seine Lordschaft hatte in der vergangenen Woche seinen Wagen zuschanden gefahren. Ein Foto von der ganzen Familie war erschienen – richtig, Derrick, der Teenager-Sohn und Erbe. Die Presse hatte über den Lümmel die Geschichte aufgewärmt, wie er bei irgendeinem Haschvergnügen erwischt und mit
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