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Miss Seeton kanns nicht lassen

Miss Seeton kanns nicht lassen

Titel: Miss Seeton kanns nicht lassen
Autoren: Heron Carvic
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gelichtet, der Mord war also vermutlich vorher verübt worden. Aber in Lewisham mochte es anders gewesen sein. Das mußte er nachprüfen, wenn sie wieder dort waren. Wieso eigentlich: wieder dort – sie hätten gar nicht weggehen sollen. Er hatte noch nie erlebt, daß das Orakel so etwas tat: wortlos den Fall einfach liegenlassen. Ob er ihn daran erinnern sollte? Nein, das ging nicht. Man konnte Delphick nicht an etwas erinnern, und schon gar nicht, wenn er in dieser Stimmung war. Eher war es umgekehrt: Er erinnerte einen an gewisse Dinge, die noch zu erledigen waren. Lewisham? Was, zum Teufel, war doch noch los mit Lewisham? Irgend etwas war da gewesen.
    Ranger fuhr zusammen, als der Superintendent plötzlich nach dem Telefonhörer griff.
    »Chief Superintendent Gosslin, bitte. Chief? Hier Delphick. Ja… Ja, und ich müßte natürlich dort sein, aber… Ja, bitte. Ja, sofort.« Delphick legte auf und verließ den Raum.
    Ranger sah ihm nach. Delphick wollte doch nicht etwa den Fall niederlegen? Um Ablösung bitten? Ach was, ausgeschlossen, so was tat man nicht. Selbst bei einem Fall wie diesem hier, wo man wirklich zuviel kriegen konnte: So was tat man nicht. Er bückte sich, zog die unterste Schublade des Schreibtischs heraus und entnahm ihr vier Aktendeckel.
    Brentwood, Richmond, Wimbledon, West Mailing. Drei in oder nahe bei London und einer in Kent in der Nähe von Maidstone – wieso ausgerechnet Maidstone? –, und nun dies hier in Lewisham. Was war da bloß gewesen – irgendwas hatte er gelesen oder gehört. Ach ja, natürlich, in der Kantine, da hatte einer was erzählt von einem Überfall auf die Poststelle in Lewisham. Na, das hilft auch nicht viel weiter. Jeder Lehrling versuchte sich heute zuerst an einer Landpoststelle, bevor er zu den richtigen Überfällen auf Banken und Eisenbahnzüge überging. Drei Jungen, ein Mädchen; der Täter schien sich wenigstens nicht auf ein Geschlecht zu verlegen. Alle zwischen zehn und vierzehn. Und jetzt wieder ein Junge, in Lewisham. Vermutlich war also beim nächstenmal wieder ein Mädchen an der Reihe. Alle erdrosselt und bei keinem die Spur von einem Motiv. Einfach erstickt, und dann war der Täter abgehauen. Scheußlich. Kein Wunder, daß die Zeitungen zetermordio schrien. Einige hatten Aufsätze von Psychiatern gebracht, mit Ratschlägen für die Polizei, nach welchem Tätertyp hier zu suchen sei. Fabelhafte Hilfe. Als ob sie nicht wüßten, daß sie es hier mit einem Verrückten zu tun hatten. Bloß war die Verrücktheit eben nicht zu sehen – oder doch erst dann, wenn der Betreffende selbst auf der Wache erschien und sich als Kaiser von China vorstellte.
    Der Sergeant schob die Aktendeckel zusammen und knallte sie vor sich auf den Schreibtisch.
    Was war zu tun, wenn man einen Wahnsinnigen vor sich hatte? Wie sollte man jemanden finden, der nicht alle Tassen im Schrank hatte, wenn man ihn nicht auf frischer Tat ertappte? Es gab keinerlei Anzeichen und kein Motiv, weder Sex noch Geld. Was also konnte man tun?
    »Was kann sie denn tun?« Bevor Delphick antworten konnte, fuhr Sir Hubert Everleigh, der Assistant Commissioner vom C.I.D. fort: »Wenn wir Ihren Vorschlag befolgen oder auch nur ins Auge fassen wollen – einen Vorschlag, der nach meiner Erfahrung einzig dasteht – , wenn die Polizei also, kurz gesagt, sich geschlagen geben und den Fall der Öffentlichkeit übergeben will – « Delphick wollte protestieren, aber Sir Hubert verbesserte sich und fuhr fort: »- oder vielmehr, genauer gesagt, einem Mitglied der Öffentlichkeit, dann muß ich – obwohl ich Euripides darin beipflichte, daß die Vorsehung viele verschlungene Wege kennt – doch fragen: Welchen Weg soll Ihrer Meinung nach diese ältliche Zeichenlehrerin einschlagen? Mit anderen Worten – was kann sie tun?«
    Chief Superintendent Gosslin, der bei solchen Konferenzen immer dabei war, um seinen Untergebenen als Puffer zur Seite zu stehen, wollte Delphick Zeit zur Überlegung geben und grunzte daher halblaut: »Mit ihrem Schirm herumfuchteln, wenn ich mich recht erinnere.«
    Sir Hubert ignorierte die Bemerkung und blickte Delphick weiterhin fragend an.
    Ach, zum Teufel, dachte Delphick, wie sollte man dem A. C. Gefühle und Gedanken klarmachen, die so vage waren, daß man sie kaum für sich selbst benennen konnte. Gosslin kannte ihn, mit dem hatte er lange und voll gegenseitigen Vertrauens zusammengearbeitet; der würde ihn immer in vernünftigen Grenzen gewähren lassen, auch wenn mal ein
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