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Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern (German Edition)

Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern (German Edition)

Titel: Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern (German Edition)
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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Tasche nur vielleicht auf den Schoß nehmen könnte …? Felix grinst uns zu, klettert mit seiner kleinen Sporttasche auf den Vordersitz und dreht die Musik laut.
    Jenny küsst uns zum Abschied, ruft: »Lernt nicht zu viel!«, und ehe wir sie dafür verhauen können, braust die Ente davon. Isa und ich wechseln einen Blick wie zwei unschuldig verurteilte Steinbruch-Sträflinge. Ich würde alles dafür geben, so unbeschwertwie Jenny und ebenfalls auf dem Weg an einen italienischen Strand zu sein.
    An der Ecke biegt Jenny mit viel Schwung und ohne jede Rücksicht auf die Hauptstraße ab, wodurch die nachfolgenden Autos zur Vollbremsung gezwungen werden. Die Ente ist schon nicht mehr zu sehen; nur Jennys überlaute Reise-Musik und das Hupkonzert, das ihr folgt, schrillen noch über die Straße.
    Als es wieder still ist, schlurfen wir armen Sträflinge nach oben und eine Minute später sitze ich schon wieder am Schreibtisch, grübele, zu welcher Therapie einem 19-jährigen Mann zu raten ist, der wegen rezidivierender Zystinsteinbildung einer Metaphylaxe der Nephrolithiasis bedarf, muss nun doch das Medizinlexikon bemühen und bereue meine Disziplin.
    Ich tue mir unendlich leid. Die kommenden 108 Tage wachsen vor meinem inneren Auge zu einem Lebenslänglich. Für immer, immer und ewig werde ich hier sitzen. Bis meine Füße degeneriert sind. Weil mein Körper ja keine zweibeinige Fortbewegung mehr leisten muss. Atrophie – das nicht mehr benötigte Gewebe schwindet. Dafür tritt vielleicht eine Verstärkung des Lendenwirbelbereichs ein, wenn sich die Wirbelsäule den Anforderungen des hundertjährigen Sitzens anpasst. Das Skelett wandelt sich zum ergonomischen Winkel, Stehen und Laufen sind ja nicht mehr gefragt … Ich werde als Klappmesser-Lena aus dem Zimmer getragen werden, hach ja, die arme Irre saß hier jahrzehntelang fest. Ich hoffe nur, dass sie mich seitwärts drehen, wenn sie mich durch die Tür bugsieren, damit sich mein angewinkelter Oberkörper nicht im Türstock verkantet.
    Schluss, Lena! Wenn du all deine Schreibtischzeit mit Gejammer verbringst, könntest du genauso gut mit Jenny am Strand sitzen und DORT rumzetern!
    Nach dieser gestrengen Ermahnung schaffe ich es endlich. Ich nehme Anlauf und lasse mich Alice-im-Wunderland-mäßig in den Lerntunnel fallen. Schlage unten auf und folge einem verrückten Kaninchen im Arztkittel durch das Labyrinth der Prüfungsfragen, suche geschäftig die richtigen Antwortschlüssel, umdie A-B-C-D-E-Türen zu öffnen, werde angesichts der Neurologiefragen vor Unwissenheit winzig klein und bei den Gynäkologie-Fragen vor Selbstbewusstsein riesengroß und stiefele immer tiefer in das Aufgaben-Labyrinth hinein.
    Am Abend habe ich 68 Fragen gekreuzt, klettere erschöpft aus dem Tunnel ins sommerliche Abendlicht und erlaube mir endlich wieder einen Blick in den Lösungskatalog. Nun wird sich zeigen, welche Spuren die vergangenen Jahre in meinem Hirn hinterlassen haben. Ich habe ein gutes Gefühl. Ein sehr gutes.
    Die erste Antwort ist richtig. Hurra! Bestanden! Ich nehme E) Thailand. Die zweite Antwort ist falsch. Macht nichts, Lena, EINEN Fehler darf man sich durchaus erlauben. Die dritte ist auch nicht richtig. Hmpf. Dann reicht es also doch nur für A) Ostsee. Wenn überhaupt. Aber ruhig Blut, Lena, 60 Prozent reichen, um zu bestehen. Das wären von den 68 genau 40,8 Fragen. 41 – wir wollen ja nicht kleinlich sein.
    Bei der zehnten falschen Antwort wird mir mulmig, denn eigentlich geht es ja nicht nur darum, die Fragen an den Prüfungstagen theoretisch richtig zu beantworten. Sind 60 Prozent überhaupt genug, um darauf ein Ärzteleben aufzubauen? Besonders praxistauglich ist das ja nicht! (»Sie müssen entschuldigen, lieber Patient, bei Ihrer Diagnose muss ich passen. Bitte keine Vorwürfe, bei über 60 Prozent aller Krankheiten kenne ich mich bescheinigtermaßen aus!«) Fest steht: Mit 60 Prozent möchte Beststudentin Lena nicht aus der Prüfung gehen. Aber die erträumten 99,9 Prozent funkeln in unerreichbarer Ferne. Denn auch Aufgabe 24, 36 und 37 habe ich nicht richtig beantwortet.
    Bei der 27. falschen Antwort verlässt mich endgültig der Mut. 27 von 68. 39,7 Prozent falsch … Du wirst es nicht schaffen, Lena. Wolltest du nicht irgendwann mal Bäckereifachverkäuferin werden? Warum hast du im vergangenen Jahr rein gar nichts getan, um dir diesen Notfallplan warmzuhalten?!
    Dass auch noch die 28. Antwort falsch ist, wäre wirklich nicht mehr nötig
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