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Mischpoche

Titel: Mischpoche
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Berghang zu werfen. Nach reichlich drei Stunden fiel Bronstein völlig entkräftet in sein Pensionsbett und war eingeschlafen, noch ehe er darüber hätte nachdenken können, wie anstrengend es war, sich ein paar lächerliche Kilometer durch eine Schneelandschaft zu schieben.
    Den Donnerstag verbrachte er in diesem Lichte bei Glühwein und Karl May, ehe er wie vereinbart den Bahnhof von Arnoldstein aufsuchte, wo er im Aufenthaltsraum der Eisenbahner Stellung beziehen durfte. Er vertrieb sich die Zeit mit Patiencen und registrierte dabei, wie er mit jeder Minute nervöser wurde. Die Patiencen gingen nicht auf, und er war sich sicher, mit seinen hochfahrenden Plänen würde es nicht anders sein. Was war er doch für ein eitler Narr? Glaubte er wirklich, er konnte im Alleingang irgendwelche Machinationen aufdecken? Die ganze Sache war doch für ihn einfach eine Nummer zu groß. Im besten Falle machte er sich lächerlich – und im schlimmsten Fall sank er unbeweint in ein kühles Grab. Just in dem Augenblick, da er sich bereits dazu entschlossen hatte, auszubüchsen und die ganze Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, wurde die Tür geöffnet und ein Bahnbediensteter erklärte ihm, am Bahnsteig warte ein Italiener auf ihn. Bronstein blickte auf die Uhr. Es war kurz vor 10 Uhr abends. Er trat ins Freie und erkannte Achille. Nun, das musste wohl ein Zeichen sein. Er verabschiedete sich von den Arnoldsteinern und kletterte umständlich auf den Tender.
    »Wohin geht die Fahrt?«, fragte er Achille und vergaß dabei, dass der nicht Deutsch konnte. Dieser antwortete etwas auf Italienisch, was wiederum Bronstein nicht verstand. Achille schien eine Weile zu überlegen, was Bronstein ihn wohl gefragt haben könnte, und ließ dann eine Wortkaskade los, innert derer Bronstein nur das Wort »Vienna« verstand. Na, wenigstens ging es wieder nach Hause, dachte er und machte es sich, so gut es ging, hinter Achille auf dem Führerstand der Lok bequem.
    Der Zug ratterte durch das nächtliche Villach, passierte den Wörther See und später Klagenfurt, St. Veit und Friesach. Nach einer guten Weile überquerten sie die Grenze zur Steiermark und fuhren nun durch die unbeleuchteten und völlig verwaisten Bahnhöfe von Unzmarkt, Zeltweg und Knittelfeld. Bronstein spürte, wie er immer müder wurde, und es verwunderte ihn nicht, denn es ging schon hart auf Mitternacht. Insgeheim bewunderte er Achille, der immer noch aussah, als wäre es erst früher Vormittag. Aber vielleicht, so mutmaßte Bronstein, waren Leute wie Achille die Nachtarbeit gewohnt und schliefen dafür untertags.
    Langsam näherte sich der Zug nun Leoben, von wo aus es nur noch ein Katzensprung nach Bruck an der Mur war. Bronstein deutete auf die Uhr und machte eine fragende Geste. Achille hob zwei Finger hoch. In zwei Stunden würde man also am Ziel sein. Bronstein hockte sich auf den Boden und versuchte, ein wenig zu schlafen.
    Ein Rütteln an seiner Schulter ließ ihn hochfahren. Der Zug fuhr nicht mehr. Krampfhaft suchte er nach seiner Uhr und hielt sie so, dass er ihr Zifferblatt ablesen konnte. Halb drei Uhr früh, registrierte er. Er kam auf die Beine und sah sich um. Wo waren sie?
    Rund 50 Kilometer hinter Bruck hatten sie den Semmering überwunden und waren dann in rascher Fahrt weitere 50 Kilometer nach Wiener Neustadt gefahren. Doch diese Einöde konnte unmöglich die Umgebung von Wien sein. Bronstein versuchte, sich den Streckenverlauf zu vergegenwärtigen. Demnach hätten sie weiter nach Baden gelangen müssen, um von dort via Mödling nach Wien zu kommen. Wieder bemühte er die hochgezogenen Schultern mit ratloser Miene als Italienisch-Dolmetscher. »Leoberdorf«, radebrechte Achille.
    Leobersdorf? Was machten sie just hier?
    »David!«, zischte eine Stimme. Bronstein beugte sich über die metallene Reling und erkannte Nemeth.
    »Was machst du da?«, fragte er mit ehrlichem Erstaunen.
    »Es ist alles ganz anders! Die Waffen sind gar nicht für die Heimwehr! Die gehen nach Ungarn«, erklärte Nemeth atemlos. »Fünf Kilometer von hier ist die Hirtenberger Waffenfabrik. Da sollen die Gewehre überholt werden, und dann geht die Fracht mit Duldung der österreichischen Regierung Richtung Budapest, damit die Waffen dort gegen meine Landsleute eingesetzt werden können.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich habe immer noch Kontakte nach drüben. Der Zug soll just in der Neujahrsnacht über die Grenze rollen. Der Starhemberg hat das eingefädelt, und sein Spezi, der
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