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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition)
Autoren: Matt Ruff
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Name war James Travis. Aus Texas stammend, war er in die VAS mit einem Studentenvisum eingereist, das allerdings seit neun Monaten abgelaufen war. Während des letzten Jahres seines Medizinstudiums hatte er sich einer Gruppe von radikalen Protestanten angeschlossen, für die er jetzt als Kurier arbeitete – und am nächsten Tag wollte er dem Anführer einer Schläferzelle den Sprengstoff übergeben.
    Der Arabische Heimatschutz, kurz AHS, in Riad wollte die ganze Zelle hochgehen lassen, weshalb beschlossen worden war, Travis nicht sofort festzunehmen, sondern ihn zunächst nur zu entwaffnen. Eine als Zimmermädchen verkleidete Agentin sollte im Korridor der elften Etage warten, bis Travis zum Abendessen ging, und dann den echten Plastiksprengstoff gegen eine mit Lehm gefüllte Attrappe austauschen und Travis’ sonstiges Gepäck mit einem Peilsender versehen.
    Es war kein schlechter Plan, aber er stand und fiel damit, dass Travis sein Zimmer verließ – was er nicht vorzuhaben schien. Während die Uhr allmählich auf acht zukroch, wurde einem der Männer, die die Hotelhalle überwachten, darum langweilig, sodass er das vermeintliche Zimmermädchen im elften Stock zu necken begann.
    »Amal, Zimmer 1169 braucht frische Handtücher.«
    »Sehr witzig, Samir.«
    »Amal, der Herr auf 1124 möchte, dass seine Kissen aufgeschüttelt werden.«
    »Witz komm raus, du bist umzingelt.«
    »Amal …«
    »Samir!«
    Darauf herrschte eine Zeitlang Funkstille. Bis Mustafa um Viertel vor acht fragte: »Ist er überhaupt wach?«
    Ein Beamter der Truppe, die das Hotelzimmer von der anderen Straßenseite aus observierte, schaltete sich ein: »Die Jalousien sind noch immer unten, aber es sieht so aus, als ob das Licht an wäre.«
    »Und sein Fernseher läuft«, fügte Amal hinzu. »Ich kann ihn von hier aus hören.«
    »Wisst ihr, was toll wäre? Wenn wir eine funktionierende Kamera und Abhöranlage im Zimmer hätten.«
    »Sehr witzig, Samir«, knurrte der Mann von der Überwachungstruppe. »Ich hab’s dir schon zweimal gesagt: Als wir sie getestet haben, funktionierten die Wanzen einwandfrei.«
    »Soll ich bei ihm anklopfen, Mustafa?«, fragte Amal. »Ich könnte behaupten, dass die anderen Gäste sich durch den lauten Fernseher belästigt fühlen.«
    »Nein, lass, ich hoffe einfach, dass er bald Hunger kriegt«, entgegnete ihr Chef. »Abdallah? Bei dir irgendwas Auffälliges?«
    Abdallah überwachte die Telefonzentrale des Hotels. »Nein. Er hat weder den Etagendienst zu rufen versucht noch sonst irgendeinen Festnetzanruf getätigt. Und die Handyüberwachung ist ebenfalls negativ … Was, wenn er zu nervös ist, um essen zu gehen?«
    »Ein nervöser Terrorist! Das ist genau das, was wir jetzt brauchen.«
    »Vielleicht macht ihm ja sein Gewissen zu schaffen«, meinte Samir. »Was für ein Christ war er noch mal, Mustafa?«
    »Methodist.«
    »Sind das die mit den Schlangen? Die …«
    »Hey«, unterbrach ihn Amal. »Der Fernseher ist gerade ausgegangen … Er kommt raus.«
    »In Ordnung. Alle auf Empfang!«, befahl Mustafa. Theoretisch sollten sie sich nacheinander melden, doch vor lauter Aufregung, dass endlich etwas passierte, sprachen alle auf einmal.
    »Er ist gerade in den Fahrstuhl gestiegen«, war Amal schließlich wieder zu hören, als das Stimmengewirr langsam abklang. »Ich bin jetzt im Zimmer … Oh, verdammt!«
    »Amal?«
    »Verdammt, verdammt, verdammt …« Man hörte sie keuchen, als ob sie rannte. »Er ist gar kein Kurier.«
    Im Erdgeschoss stürzten Samir und drei andere Agenten sofort zu den Aufzügen – die sie gerade noch rechtzeitig erreichten, um zu sehen, wie der absteigende Fahrstuhl ohne Zwischenstopp im Parterre weiter nach unten fuhr. Samir hämmerte auf den Rufknopf, allerdings vergebens, denn die übrigen Aufzüge waren alle in höheren Stockwerken unterwegs. Darum brüllte er eine Warnung in sein Funkgerät und hetzte dann mit seinen Kollegen los, um das Treppenhaus zu suchen.
    Ohne etwas von dieser hektischen Aktivität zu ahnen, trat der Kreuzzügler unterdessen in die Stille der Tiefgarage hinaus. Obwohl es ein heißer Sommerabend war, trug er eine dicke, übergroße Sportjacke.
    Die linke Hand in die Tasche gesteckt, durchquerte er die Tiefgarage und rezitierte dabei flüsternd: »Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen Vater, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt … Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater
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