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Mira und der weiße Drache (German Edition)

Mira und der weiße Drache (German Edition)

Titel: Mira und der weiße Drache (German Edition)
Autoren: Margit Ruile
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vergessen hatte und sie jetzt die ganzen Ferien nichts mehr zu lesen hatte.
    »Ich kann dir vielleicht weiterhelfen. Weißt du, was?«, sagte Herr Sperling plötzlich und seine Augen hellten sich auf. » Gullivers Reisen ist ganz wundervoll. Ich habe da noch ein altes Exemplar unten liegen. Und ich muss sowieso noch ein paar Bücher heraufholen. Soll ich es dir mitbringen?« Mira lächelte. »Das wäre prima!«
    »Dann warte hier, ich bin in fünf Minuten zurück. Du kannst es mir zurückgeben, wenn du es ausgelesen hast, ja?«
    Während Herr Sperling die steilen Treppenstufen hinunterschlurfte, sah sich Mira zwischen den Büchern um. Im Regal stand ein dicker, in rotes Leder eingebundener Band eines Medizinlexikons, aus dem ein altes Papierskelett herausklappte, als Mira ihn aufschlug. Sie stellte das Buch schnell wieder zurück und musste niesen von dem Staub, den sie aufgewirbelt hatte.
    Plötzlich hörte sie über sich leise Schritte und ein Rascheln. Was konnte das sein? Waren etwa Mäuse dort oben? Da, schon wieder! Vorsichtig schritt sie die Bibliothek ab, bis sie zu einer schmalen Holzleiter kam, die in ein anderes, oberhalb gelegenes Zimmer führte. Da! Wieder hörte sie dieses Rumpeln, dann war es so, als flüsterte eine helle Stimme. Es klang wie ein stetiges Murmeln. Miras Herz klopfte. Wer war dort oben? Sie nahm all ihren Mut zusammen und stieg vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, die Holzleiter hinauf. Oben steckte sie den Kopf durch eine kleine Luke. Beinahe wäre sie vor Schreck von der Leiter gefallen. Zwischen Spinnweben und Gerümpel erspähte sie Miranda. Sie saß mit überkreuzten Beinen auf dem staubigen Boden und hatte ein Buch vor sich aufgeschlagen, auf das sie heftig einzureden schien. Mira hielt die Luft an, um nicht entdeckt zu werden. Zum Glück stand vor ihrer Nase ein altes, mit Spinnweben überzogenes Schaukelpferd.
    Miranda strich sich eine Strähne ihres verfilzten Haares aus dem Gesicht und sah trotzig auf das Buch herab. Jetzt konnte Mira auch verstehen, was sie sagte. »Also gut, ich probiere es ein letztes Mal«, hörte sie Mirandas Stimme. »Vielleicht heißt es doch Gestalt statt Gewalt.« Miranda holte tief Luft und deklamierte leise, indem sie auf eine Seite des aufgeschlagenen Buches starrte:
    »Vorstellung der Gedanken Halt,
aus luft’gem Nichts nimm an Gestalt.«
    Dann blies sie vorsichtig in die Seiten. Und nun wäre Mira zum zweiten Mal fast die Leiter heruntergefallen. Den Seiten entstieg ein kleiner silberner Drache, nicht größer als das Buch selbst!
    Zunächst sah Mira nur einen Flügel, dann einen zweiten, schließlich den schmalen Kopf und den filigranen Körper. Der Drache drehte sich einmal um sich selbst, stieß aus seinen Nüstern ein kleines weißes Rauchwölkchen aus und wandte sich dann Miranda zu, die nun glücklich lächelte.
    In diesem Moment musste Mira vor Schreck niesen. Miranda sah sich rasch um, flüsterte dem Drachen etwas zu, der sich eilig wieder in das Buch hineinbegab, und klappte die Seiten zu.
    »Ich bin wieder da!«, hörte Mira plötzlich Herrn Sperlings Stimme von unten. Sie kletterte schnell die Leiter hinunter und sah ihn gerade die Wendeltreppe heraufkommen. »Hier habe ich es. Ich muss sagen, du hast einen guten Geschmack. Richtig gelesen haben es die wenigsten. Es macht großen Spaß, du wirst sehen.« Er gab ihr ein abgeschabtes und sehr zerlesenes Exemplar von Gullivers Reisen . Mira blätterte unentschlossen in dem Buch herum. Normalerweise wäre sie begeistert gewesen und hätte sich gewünscht, es gleich zu lesen. Nun aber war sie viel zu verwirrt von dem, was sie soeben gesehen hatte. »Vielen Dank«, sagte sie, »ich bringe es Ihnen zurück, sobald ich es ausgelesen habe.« »Gut«, sagte Herr Sperling. »Dann lass uns nun gehen. Wenn ich hier abgesperrt habe, habe ich endlich Feierabend.«
    »Herr Sperling!«, sagte Mira und zögerte. »Ist außer uns eigentlich noch jemand in dem Turm? Mir war vorhin so, als ob ich hier oben Geräusche gehört hätte.« »Außer uns kann unmöglich noch jemand im Turm gewesen sein. Geräusche sagst du?«, fragte der Mann und überlegte kurz. »Ach ja. Kann sein, dass ich oben das Fenster offen gelassen habe. Manchmal verirren sich dann Vögel in die Dachkammer.«
    Er ging zu der Leiter. »Warte hier, ich schaue besser noch mal nach.«
    »Ich kann das auch gerne für Sie machen«, sagte Mira rasch.
    »Ach, das ist lieb von dir. Und wenn das Fenster noch auf ist, mach es doch gleich
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