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Mira und der weiße Drache (German Edition)

Mira und der weiße Drache (German Edition)

Titel: Mira und der weiße Drache (German Edition)
Autoren: Margit Ruile
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wie es Gulliver bei den Riesen wohl erging.
    Manchmal grübelte sie auch über den seltsamen Spruch auf der Schriftrolle nach, den sie dem Mädchen im Zug vorgelesen hatte. Mira war sich sicher, dass er eine Art Rätsel war, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie es lösen sollte.
    Das Wetter war miserabel. Es war kälter geworden und der sonnige und farbenfrohe Herbst verwandelte sich in eine schlecht gelaunte Jahreszeit mit andauerndem Nieselregen.
    Wahrscheinlich wären diese Ferien in grauer Ödnis dahingeplätschert wie das Regenwasser, das aus der Dachrinne vor Miras Fenster lief, hätte Mira nicht eines Morgens in die Zeitung geblickt und wäre dort über etwas gestolpert, was ihr Herz für einen Moment lang schneller schlagen ließ. Zwischen den Kleinanzeigen und dem »Vermischten« sah sie das Bild eines älteren Mannes, der mit einem Schlüsselbund freundlich in die Kamera blickte. Herr Sperling führt Sie schon seit drei Jahrzehnten durch die Burg , stand unter dem Bild. Endlich, das war doch mal etwas, was Abwechslung versprach – so eine Burgbesichtigung klang verlockend und war sicher besser als ein weiteres endloses »Mensch ärgere Dich nicht«-Spiel mit Tante Lisbeth. Mira beugte sich dichter über das Bild, um zu erkennen, wo sich diese alte Burg befand. Da zuckte sie plötzlich zusammen. Unscharf konnte sie hinter dem Mann auf dem Foto ein Wappen erkennen. Es zeigte eine Figur mit zwei Köpfen. Der eine Kopf war der einer unscheinbaren Krähe, die nach links blickte, der andere Kopf blickte nach rechts und gehörte einem imposanten Drachen. »Wo Krähe und Drache zusammen wohnen« , entfuhr es Mira plötzlich laut.
    Tante Lisbeth blickte von ihrem Zeitungsteil auf und schaute Mira verwundert an. »Was hast du gesagt?« »Ich habe mich nur für das Wappen interessiert«, erklärte Mira. »Was für ein Wappen?«, fragte Tante Lisbeth verständnislos. »Hier.« Mira reichte ihrer Tante die Zeitung und deutete auf das Bild mit Herrn Sperling. »Ach das. Das ist das Burgwappen«, erklärte Tante Lisbeth und nahm noch einen Schluck Kaffee. »Wenn dich so was interessiert, können wir uns die Burg hier mal anschauen«, fügte sie ohne rechte Begeisterung hinzu und war dann aber schon wieder in ihre Zeitung vertieft.
    Mira starrte das Foto an und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Kein Zweifel: Auf dem Wappen am Burgtor, vor dem Herr Sperling für das Foto posiert hatte, waren ziemlich deutlich ein Drache und eine Krähe abgebildet.
    »Dann wird sich die Suche lohnen,
wo Krähe und Drache zusammen wohnen.«
    Mira lief ein Schauer über den Rücken. Vielleicht hatte sie damit den einen Teil des Rätsels, das ihr so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte, schon gelöst?
    »Wenn die Erde zwischen Mond und Sonne steht,
kurz bevor der Tag vergeht ...«,
    zitierte Mira laut, ohne darüber nachzudenken, dass ihre Tante am Tisch saß.
    Tante Lisbeth sah zum zweiten Mal von ihrer Zeitung auf. »Was ist denn jetzt schon wieder?«, rief sie ungehalten.
    »Ich habe mir nur überlegt, wann die Erde zwischen Mond und Sonne steht ...«, murmelte Mira.
    »Na, an Vollmond natürlich, das müsstest du eigentlich schon gelernt haben«, sagte Tante Lisbeth leicht genervt.
    »Danke, Tante Lisbeth!«, sagte Mira strahlend. Sie musste also an Vollmond zu dieser Burg gehen! Und dann? Vor Aufregung verschluckte sich Mira an ihrem Kakao und besprenkelte das weiße Tischtuch mit braunen Spritzern. Tante Lisbeth sah sie mit einem Seufzen an und reichte ihr eine Serviette, mit der Mira schnell das Tischtuch abtupfte. Dann entschuldigte sie sich hastig und lief hoch auf ihr Zimmer. Aus ihrem Rucksack holte sie einen kleinen Taschenkalender und blätterte ihn eilig durch. Neben den Zahlen stand an einigen Tagen ein winziges Symbol. Mal ein schwarzer Mond, mal ein halber Mond und, Mira holte tief Luft, mal ein einfacher Kreis. Dann jubelte sie innerlich auf: Der weiße Kreis, das Zeichen für den Vollmond, stand neben dem morgigen Tag.
    Mira setzte sich auf ihr Bett und starrte vor sich hin.
    Wenn sie das Rätsel richtig verstanden hatte, dann würde morgen irgendetwas auf der Burg passieren. »Kurz bevor der Tag vergeht.« Also am Abend oder am späten Nachmittag. Aber was würde dann geschehen? Mira spürte, wie ihr Herz vor Aufregung schneller schlug.
    Sie würde alles versuchen, sich das nicht entgehen zu lassen.

4. Kapitel
    in dem Mira zum ersten Mal etwas stiehlt
    Es war weit weniger schwierig, als Mira gedacht hatte, Tante Lisbeth am
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