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Mira und der weiße Drache (German Edition)

Mira und der weiße Drache (German Edition)

Titel: Mira und der weiße Drache (German Edition)
Autoren: Margit Ruile
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sehen! Sie lief zum Abteil. Auch dort fand sie keine Spur von Miranda.
    In diesem Moment hielt der Zug. Mira sah durch die Scheiben ein Stationsschild, auf dem in altmodischen Buchstaben
Schwarzburg
stand. Hier musste sie aussteigen! Sie riss schnell den blauen Koffer von der Ablage und schnappte sich ihren Rucksack, hetzte mit beidem den Gang entlang und stolperte die Stufen hinunter, wobei ihr der blaue Koffer entglitt und auf den Bahnsteig purzelte. Dort stand der Schaffner. Er hob den Koffer wieder auf, sah Mira an und kratzte sich wieder am Kopf. »Vielen Dank«, sagte Mira. »Keine Ursache«, sagte der Schaffner, zog seine Uniform zurecht und blickte ihr verwirrt nach.
    Mira sah sich auf dem Bahnsteig um. Ein paar Männer in Anzügen rollten ihre Koffer über das Pflaster. Der dicke Junge mit dem Gameboy wurde von einer ebenso dicken Frau begrüßt. Schließlich leerte sich der Bahnsteig und es wurde still. Mira hörte nur noch das Gurren der Tauben, die sich auf einem Werbeplakat breitgemacht hatten.
    »Mira, da bist du ja!« Mira zuckte zusammen und drehte sich um. Hinter ihr stand eine große, hagere Frau, die in einem altmodischen beigen Mantel steckte. Ihre grauen Haare waren streng nach hinten gekämmt und hochgesteckt. Sie lächelte Mira etwas schief an. »Hattest du eine gute Fahrt?«
    »Ja, danke!«, stotterte Mira, »irgendwie schon.« Das seltsame Mädchen namens Miranda und den eigenartigen Spruch erwähnte sie lieber nicht. Tante Lisbeth sah nicht so aus, als würde sie das verstehen.

3. Kapitel
    in dem Mira versucht, alles richtig zu machen
    Mira hätte die seltsame Begegnung im Zug vielleicht schnell wieder vergessen, wenn es bei Tante Lisbeth nicht so schrecklich langweilig gewesen wäre. Das heißt, langweilig war nicht das richtige Wort, es war einfach anstrengend. Das fing damit an, dass es unglaublich viele Regeln gab, die sich Mira gar nicht alle merken konnte. Sie durfte sich nicht auf die Kissen am Esstisch setzen, weil diese vielleicht schmutzig werden könnten. Die Geschirrhandtücher in der Küche mussten in einer bestimmten Reihenfolge aufgehängt werden. Links das rote, in der Mitte das blaue und rechts das weiße. Es gab einen Schwamm für Töpfe, einen Lappen für Gläser und die Bürste für Pfannen. Bei der Toilettenspülung durfte man nur auf den kleinen Knopf drücken und nicht auf den großen. Und im Bad musste die Seife im richtigen Winkel in der Seifenschale liegen.
    Kaum hatte Mira eine Regel gelernt, kam schon die nächste hinzu. Und für alle Regeln hatte Tante Lisbeth auch eine passende Begründung, die Mira gleich mitgeliefert bekam und kurz darauf schon wieder vergaß.
    Das Mädchen bemühte sich den ganzen Tag über, alles richtig zu machen, und machte doch alles falsch. Und was auch immer sie tat, ihr war bewusst, dass Tante Lisbeth all die Verfehlungen früher oder später bemerken würde.
    Das Schlimmste allerdings war, dass Miras Großtante nie etwas sagte, sondern immer nur missbilligend schaute, sodass Mira, auch wenn sie sich keines Fehlers bewusst war, darüber nachzugrübeln begann, was sie denn nun schon wieder falsch gemacht haben konnte.
    Kurzum, Tante Lisbeths überaus aufgeräumtes Haus war ein einziges Regelwerk und voll mit Stolperfallen. Mira hatte schon am zweiten Tag das Gefühl, dass Tante Lisbeth lieber allein geblieben wäre, als sich um ihre Großnichte zu kümmern, die stets alles in Unordnung brachte.
    Mira hatte ein Zimmer im ersten Stock bezogen. Der kleine Raum wurde regiert von zwei seltsamen leblosen Puppen in steifen Gewändern, die Mira jeden Abend vor dem Einschlafen aus glasigen Augen anstarrten. Sie fürchtete sich vor ihnen und stopfte sie abends in den Schrank, aus dem Tante Lisbeth sie jeden Morgen wieder befreite und zurück an ihren Platz auf dem Regal stellte.
    Nach dem Mittagessen spielte Tante Lisbeth immer mit Mira »Mensch ärgere Dich nicht«. Sie ließ ihre Großnichte jedes Mal gewinnen, indem sie ihre Figuren absichtlich nicht aus dem Spiel warf. Mira hatte daher schon am zweiten Tag keine Freude mehr am Spiel und war froh, wenn die jeweilige Partie zu Ende war. Am liebsten verzog sie sich in ihr seltsames Zimmer, um zu lesen, wobei sie immer wieder schmerzlich daran erinnert wurde, dass sie Gullivers Reisen im Zug vergessen hatte. Sie hatte so schnell aussteigen müssen und dabei das Buch auf dem Tischchen unter dem Fenster vergessen. Zumindest in diesem Urlaub − so dachte Mira − würde sie nicht mehr erfahren,
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