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Minuszeit

Minuszeit

Titel: Minuszeit
Autoren: James White
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gehen«, sagte der erste Wachhabende und zeigte mit dem Daumen zum Verwaltungsgebäude hinüber. »Sie kommen gerade aus dem Aufzug.«
    Es waren nur sechs Männer. Irgendwie hatte Carson mit einem größeren Kreis gerechnet. Aber es waren alles führende Leute: Tillotson, jetzt ohne Schirmmütze; Daniels, der Chefkonstrukteur; George Reece, Direktor des Bereichs Elektronik; Brady und Soames, Abteilungsdirektoren für Raketenbau und Zellenfertigung; und Saunderson, der Finanzchef des Unternehmens. Daniels kam an die Tür des Wachlokals und warf Briggs den Schlüsselbund zu und wünschte ihm eine gute Nacht. Niemand schien Carson zu bemerken, der außerhalb des Lichtscheins der Schreibtischlampe stand.
    Als Briggs den Schlüsselbund an einen der numerierten Haken hängen wollte, kam Carson ihm zuvor. »Geben Sie her«, sagte er. »Es ist Zeit für die Runde, und ich kann ein bißchen Bewegung vertragen.«
    Briggs nickte und machte Anstalten, ihn zu begleiten. Er sagte: »Dieser Verein ist gewöhnlich sehr aufmerksam. In fast drei Jahren ist es noch nie vorgekommen, dass sie Türen und Fenster offen oder eine Lampe brennen ließen.«
    »Das hört man gern«, sagte Carson. »Aber Sie brauchen nicht mitzukommen. Ihr zwei könnt Kaffee machen und über mich herziehen, bis ich zurückkomme. Ich habe ihn gern schwarz und …«
    »Ohne Zucker«, ergänzte Briggs grinsend.
    Carson ging zu Fuß die drei Treppen hinauf zum Büro des Chefkonstrukteurs und beschränkte sich auf flüchtige Blicke in die anderen Korridore. Seine Leute nahmen an, dass er alle Türen und Fenster im Gebäude kontrollieren würde, aber er dachte nicht daran. Er beabsichtigte, die ganze verfügbare Zeit im Konferenzraum der Gruppe zuzubringen.
    Alle Fenster, Ablageschränke und Schreibtischfächer in Daniels’ Büro waren verschlossen, alle Papierkörbe leer. Keine Papiere waren zufällig hinter oder zwischen die Büromöbel gefallen, kein zerknülltes Kohlepapier lag unbeachtet irgendwo in einer Ecke, und es gab keine herumliegenden Notizblocks, die Schrifteinprägungen vom Beschreiben voraufgegangener Blätter zeigten. Aber auf dem großen, mit grünem Filz bespannten Konferenztisch, nicht weit von der frisch gereinigten Wandtafel, stand ein überfließender Aschenbecher auf einem sauber gefalteten Papier, in dem Carson eine Konstruktionszeichnung erkannte. Titel und Archivnummer, die normalerweise durch das holzfreie Papier hätten durchscheinen müssen, waren unter Zigarettenasche und einigen herausgefallenen Stummeln verborgen.
    In dieser scheinbar zufälligen Unordnung aber schien ein seltsames Element von Absicht zu liegen, das im Arrangement der Zigarettenstummel, der verstreuten Asche und dem Winkel der Konstruktionszeichnung zur Tischkante ausgedrückt war.
    Die Putzfrauen, die alle Büros nach Dienstschluß zu reinigen pflegten, waren längst nach Hause gegangen, und bis morgen früh, wenn Daniels sein Büro aufsperrte, würde niemand hier aufräumen.
    Carson untersuchte die Zeichnung so gut er konnte, ohne sie zu berühren oder die verstreute Asche mit seinem Atem wegzublasen, dann setzte er sich auf einen der Stühle und dachte nach.
    Es war nicht mit Sicherheit zu sagen, dass das Arrangement von Zeichnung und Aschenbecher eine Falle darstellte, aber seine Gewißheit näherte sich hundert Prozent, so dass es keinen Unterschied machte. Die Frage mußte eher lauten, ob die Falle bloß als allgemeine Vorsichtsmaßnahme gelegt worden war oder weil sie dachten, jemand – vielleicht Carson selbst – sei ihnen auf der Spur. Wieder wusste er es nicht genau, aber er bezweifelte die letztere Möglichkeit. Daß er nach dem Feuer herumgefragt und seine Leute scharfgemacht hatte – ja, dass er noch Wochen später ein Getue machen und Fragen über das Feuer stellen würde, erwartete man von ihm. Was er sonst noch getan hatte – die langwierigen und getarnten Nachforschungen bis zu seiner Anwesenheit hier in Daniels’ Büro – war ihnen bisher nicht bekannt. Der Grund für die Falle mochte einfach in Tillotsons Erschrecken über die unvermutete Beleuchtungsprobe zu suchen sein.
    Die Vorstellung, dass es irgendwo im Betrieb noch einen anderen Sicherheitschef gebe, dem der Schutz der wirklich wertvollen und wichtigen Arbeit anvertraut sei, beunruhigte und ärgerte ihn. Ein Projekt von dieser Bedeutung erforderte einen Mann, der sich um die Sicherheitsaspekte kümmerte, soviel war deutlich. Wer aber war dieser andere Sicherheitsbeauftragte, und wer
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