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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna
Autoren: River
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der Krankenwagen und Jennys Edsel.
    Gavin steigt auf der Beifahrerseite des Jeeps aus. Er lächelt, als er die Umgebung auf sich wirken lässt. Die hintere Tür geht auf, und eine junge Frau klettert aus dem Wagen. Sie beugt sich noch einmal hinein und nimmt ein kleines blondes Kind in die Arme. Ein schwarz-weißer Border-Collie, der unserem alten Hütehund Buddy verblüffend ähnelt, schießt unter der Veranda hervor. Er springt über den Zaun und gesellt sich zu der Gruppe. Das Mädchen beugt sich aus den Armen der Mutter nach unten und versucht, den Hund zu streicheln, der sie alle schwanzwedelnd den Weg zur Veranda heraufführt.
    Es fällt schwer, sich River, der in meiner Phantasie immer noch dreiundzwanzig ist, als Großvater vorzustellen. Aber die Dreijährige, deren aquamarinblaue Augen ich sogar aus dieser Entfernung wiedererkenne, dieses Kind, das aufblickt und schüchtern mein Winken erwidert, kann wirklich nur seine Enkelin sein.

54
     
    I M EHEMALIGEN W INTERGARTEN hängt Jenny die Infusionsflasche an den Haken, während Nick sich um den Sauerstoff kümmert. Der Transport hat seinen Tribut von Mom gefordert. Nachdem sie bequem gebettet ist, ziehe ich ihr die Decke zurecht und streiche ihr über die Stirn.
    »Es ist gut, wieder zu Hause zu sein«, seufzt Mom und versucht zu lächeln. »Geh und plaudere ein bisschen mit allen, Natalie«, sagt sie mit ermattender Stimme. »Ich schlafe ein Weilchen.«
    Auf der anderen Seite des Bettes nickt Jenny mir zu, während sie die Morphiummenge einstellt.
    Vor dem Abendessen gehen Ruth und ich zusammen hinüber zur Molkerei, um oben das Zimmer für Carl herzurichten.
    Ich schalte in dem ausgekühlten Raum die Gasheizung ein, und wir drehen die Matratze auf dem Eisenbett um. Ich greife nach oben, um die Bettwäsche aus dem Schrankfach zu holen, und starre auf den Quilt, den ich in Händen halte. Es ist der Quilt meiner Großmutter. Und der Gedanke, dass auf ihm Gavin gezeugt wurde, ist überwältigend.
    Ich gehe hinüber zum Fenster und denke zurück an jene Gewitternacht. Mom hatte wieder einmal recht: Es gibt keine widrigen Winde. Und man braucht nicht lange zu grübeln, um herauszufinden, was ihrer Meinung nach die widrigen Winde jenes Sommers an Gutem in unser Leben geweht haben. Gavin. Aber es ist auch eine Menge Zeit verloren gegangen, vertan, weil wir so vieles sinnlos geheim hielten.
    Während Ruth eine Ladung Handtücher ins Badezimmer trägt, frage ich mich, wie sie wohl darüber hinweggekommen ist, dass es ihr Baby war, das nicht gelebt hat.
    Da ich entschlossen bin, Schweigen nicht mehr als Teil der Kommunikation dieser Familie zuzulassen, spreche ich sie darauf an: »Ruth – dein Baby – es tut mir so leid«, sage ich leise.
    »Es ist gut so.« Sie spricht mit Bedacht. »Ich hatte schon vorher um ihn getrauert. Er hatte bereits Tage vor der Geburt aufgehört, sich zu bewegen. Als ich nach der Entbindung aufgewacht bin, habe ich gar nichts empfunden. Ich habe die Papiere unterschrieben, die Dr. Mumford mir gereicht hat, wusste aber, dass die Seele meines Sohnes nicht auf dieser Welt weilte.«
    Ich lege die Arme um sie. Wir stehen da und halten uns eine Weile umschlungen.
    »Aber Gavin gibt es!«, sagt sie herzlich. »Und er und seine Familie, sie sind zu uns zurückgekehrt.« Sie legt einen Stoß Tücher in das Nachtschränkchen, blickt hinein und zerrt dann an etwas, was hinten festklemmt. »Natalie, sieh dir das an!«, sagt sie, während sie sich aufrichtet.
    Sie schlägt das schwarze Notizbuch mit dem festen Einband auf und überreicht es mir. Ich setze mich auf das Bett, unfähig zu glauben, was ich in meinen Händen halte: ein Tagebuch von River! Und ich hatte gedacht, alle wären verbrannt.
    Ich lese das Datum auf der ersten Seite. Montag, 10. Juni 1968. Der Tag, an dem er wegging.
    Ich fühle mich in die Vergangenheit zurückversetzt. Selbst nach all diesen Jahren erkenne ich die ordentliche, gerundete Handschrift wieder. Noch einmal lese ich aus seinen Worten Bedauern über sein mangelndes Urteilsvermögen heraus, darüber, dass er sich von der Neugierde hat mitreißen lassen, von seinem Kummer, und dass er in der Nacht, in der ich zu ihm kam, verleugnete, wie er in Wahrheit war.
Nichts entschuldigt, was ich getan habe. Ich dachte, ich wüsste, wer ich bin, wofür ich stehe, und jetzt sehe ich, dass ich gar nichts weiß.
Ich gehe heute früh weg, noch bevor Gus von der Milchtour zurückkehrt. Bevor Natalie von der Schule nach Hause kommt.
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