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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma
Autoren: David Safier
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nein!»
    Ich zuckte zusammen. «Was ist?», fragte ich hektisch, |23| und tausend Katastrophenszenarien schossen mir gleichzeitig durch den Kopf.
    «Der blöde Nils brennt die Ameisen mit einer Lupe nieder!» 2
    Lilly legte hastig auf, und ich atmete durch, nichts Schlimmes war passiert.
    Wehmütig dachte ich an die Kleine, und mir war eins klar: Heute Abend durfte es auf gar keinen Fall ein «Versace-Kleid-vom-Leib-Reißen»
     für Daniel Kohn geben.
    Ich überlegte, ob ich Alex anrufen sollte, um ihm zu danken, dass er Lilly so einen schönen Geburtstag ausrichtete. Aber je
     mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass wir uns garantiert wieder streiten würden.
    Kaum zu glauben, dass wir beide einmal glücklich miteinander waren.
    Alex und ich hatten uns bei meiner Nach-Abi-Reise durch Europa kennengelernt. Er war Rucksacktourist, ich war Rucksacktouristin.
     Er liebte es, durch die Welt zu reisen, ich tat es nur meiner Freundin Nina zuliebe. Er liebte Venedig, ich fand die sommerliche
     Hitze, den Gestank der Kanäle und die Mückenplage von geradezu biblischem Ausmaß unerträglich.
    An meinem ersten Abend in Venedig tat Nina am Strandufer das, was sie am besten konnte: Italienern mit ihren blonden |24| Engelslocken den Kopf verdrehen. Ich tötete indessen Mücken im Akkord und fragte mich, wie man so blöd sein konnte, eine Stadt
     halb ins Wasser zu bauen. Zwischendrin wehrte ich hormondurchtränkte Italiener ab, die Nina ganz selbstverständlich gleich
     für mich mit aufriss. Einer von ihnen hieß Salvatore. Er hatte nur die untersten zwei Knöpfe seines weißen Hemdes zugeknöpft,
     roch nach billigstem Aftershave und hielt mein «Non, non!» für eine Aufforderung, mir unter die Bluse zu greifen. Ich wehrte
     mich mit einer Ohrfeige und einem «Stronzo!». Ich wusste zwar nicht, was das heißt, und hatte es nur von einem fluchenden
     Gondoliere aufgeschnappt, aber es machte Salvatore unglaublich wütend. Er drohte mir Schläge an, wenn ich nicht den Mund hielte.
    Ich sagte nichts mehr.
    Er griff mir in die Bluse. Panik und Ekel stiegen in mir auf. Aber ich konnte nichts tun. Ich war vor Angst wie gelähmt.
    Gerade als seine Hand sich auf meine Brust legen wollte, hielt ihn Alex auf. Er kam aus dem Nichts. Wie ein Ritter aus einem
     Liebesmärchen, an die ich dank meines Vaters eigentlich gar nicht mehr glaubte. Salvatore baute sich mit einem Messer vor
     ihm auf. Er faselte dabei etwas auf Italienisch, und auch wenn ich kein Wort verstand, war der Tenor klar: Wenn Alex nicht
     sofort abzieht, wird er der Star in seiner ganz eigenen Version von «Wenn die Gondeln Trauer tragen». Alex, der jahrelang
     Jiu-Jitsu trainiert hatte, trat Salvatore das Messer aus der Hand. So hart, dass Salvatore beschloss, den Schwanz einzuziehen
     – im wahrsten Sinne des Wortes.
    Während Nina die Nacht damit verbrachte, ihre Unschuld zu verlieren, saßen Alex und ich an der Lagune und redeten und redeten.
     Wir mochten die gleichen Filme («Manche mögen’s heiß», «Die nackte Kanone», «Star Wars»), wir |25| mochten die gleichen Bücher («Der Herr der Ringe», «Der kleine König», «Calvin und Hobbes»), und wir hassten die gleichen
     Dinge (Lehrer).
    Als die Sonne über Venedig wieder aufging, sagte ich zu ihm: «Ich glaub, wir sind seelenverwandt», und Alex antwortete: «Ich
     glaub das nicht nur, ich weiß es.»
    Mann, haben wir uns geirrt!
    Ich legte mein Handy wieder in meine Tasche und fühlte mich plötzlich ganz allein in meinem weichen Bett im Luxus-Hotelzimmer.
     Fürchterlich allein. Es sollte doch mein großer Tag werden, aber Alex teilte ihn nicht mit mir. Und ich mochte ihn nicht einmal
     anrufen.
    Mir wurde endgültig klar: Wir liebten uns nicht mehr. Kein bisschen.
    Und dieser Augenblick schaffte es auf Platz drei der miesesten Momente des Tages.
     
    2
    Aus Casanovas Erinnerungen: Ameisen haben viele natürliche Feinde: Spinnen, Kakerlaken, Bälger mit Lupen. Ich brannte wie
     einst die Christen im alten Rom, und ich verstarb schon zum zweiten Male an diesem Tage, an dem Fortuna mir einfach nicht
     hold war. Der letzte Gedanke, den ich in meinem dahinscheidenden Geiste formulieren konnte, war: «Sollte ich jemals genug
     gutes Karma gesammelt haben, um wieder als Mensch auf Erden zu wandeln, werde ich jedem Gör mit Lupe höchstpersönlich in den
     Allerwertesten treten.»

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    3.   KAPITEL
    Nach fünf Minuten, in denen ich benommen dasaß, klopfte es an der Tür: Der
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