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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma
Autoren: David Safier
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platzte, wäre ich vielleicht sogar erleichtert gewesen,
     dass es endlich losging, hätte ich nicht gerade in der Kassenschlange im Supermarkt gestanden.
    Ich legte mich, wie von meinem Arzt für einen solchen Fall angeordnet, sofort auf den kalten Boden. Die umstehenden Kunden
     kommentierten das mit Sätzen wie: «Ist das nicht Kim Lange, die olle Moderatorin?», «Mir egal, Hauptsache, die machen noch
     ’ne zweite Kasse auf!» und «Bin ich froh, dass ich den Schweinkram nicht wegwischen muss.»
    Der Krankenwagen kam erst nach dreiundvierzig Minuten, in denen ich ein paar Autogramme gab und der Kassiererin erklären musste,
     dass sie ein falsches Bild von männlichen Nachrichtensprechern hatte. («Nein, die sind nicht alle schwul.»)
    Im Kreißsaal angekommen, begann eine fünfundzwanzigstündige Geburt. Die Hebamme spornte mich zwischen den fürchterlichen Wehen
     ständig an: «Sei positiv. Heiß jede |13| Wehe willkommen!» Und ich dachte mir im Schmerzenswahn: «Wenn ich das hier überleb, bring ich dich um, du blöde Schnepfe!»
    Ich glaubte, ich müsste sterben. Ohne Alex und seine beruhigende Art hätte ich es wohl kaum durchgestanden. Er wiederholte
     immer wieder mit fester Stimme: «Ich bin bei dir. Immer!» Und ich quetschte seine Hand dabei so fest, dass er sie noch Wochen
     später nicht richtig bewegen konnte. (Die Schwestern verrieten mir nachher, dass sie immer Noten vergeben, wie liebevoll Männer
     sich in den Stressstunden der Geburt gegenüber ihren Frauen verhalten. Alex erreichte eine sensationelle 9,7.   Der allgemeine Notendurchschnitt lag bei 2,73.)
    Als die Ärzte mir nach all der Qual die kleine – von der Geburt ganz zerknautschte – Lilly auf den Bauch legten, waren alle
     Schmerzen vergessen. Ich konnte sie nicht sehen, da mich die Ärzte noch versorgten. Aber ich spürte ihre weiche, faltige Haut.
     Und dieser Augenblick war der glücklichste in meinem ganzen Leben.
    Nun, fünf Jahre später, stand Lilly im Garten vor mir, und ich konnte ihren Geburtstag nicht mitfeiern, weil ich zu der Fernsehpreis-Verleihung
     nach Köln musste.
    Ich schluckte und ging schweren Herzens zu meiner Kleinen, die sich gerade einen Namen für das Meerschweinchen ausdachte («Entweder
     heißt es Pipi, Püpschen oder Barbara»). Ich gab ihr ein Küsschen und versprach: «Ich verbringe morgen den ganzen Tag mit dir.»
    Alex kommentierte das abfällig: «Wenn du deinen Preis gewinnst, gibst du doch morgen die ganze Zeit Interviews.»
    «Dann verbring ich eben den Montag mit Lilly», erwiderte ich angefressen.
    «Da hast du Redaktionssitzung», konterte Alex.
    |14| «Dann lass ich die eben sausen.»
    «Sehr wahrscheinlich», sagte er mit einem sarkastischen Grinsen, das bei mir den tiefen Wunsch auslöste, ihm eine Dynamitstange
     in den Mund zu stopfen. Er krönte das Ganze mit: «Du hast nie Zeit für die Kleine.»
    Als Lilly das hörte, sagten ihre traurigen Augen: «Papa hat recht.» Das traf mich bis ins Mark. So sehr, dass ich zitterte.
    Verunsichert streichelte ich Lilly über die Haare und sagte: «Ich schwör dir hoch und heilig, wir werden uns bald einen ganz
     tollen Tag machen.»
    Sie lächelte schwach. Alex wollte etwas sagen, aber ich blickte ihn so durchdringend an, dass er sich das schlauerweise anders
     überlegte. Höchstwahrscheinlich konnte er die Dynamitstangen-Phantasie in meinen Augen lesen. Ich drückte Lilly nochmal fest
     an mich, ging über die Terrasse 1 ins Haus, atmete einmal kräftig durch und bestellte mir ein Taxi zum Flughafen.
    Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, wie schwer es werden würde, meinen Schwur gegenüber Lilly zu erfüllen.
     
    1
    Aus Casanovas Erinnerungen: In meinem hundertunddreizehnten Leben als Ameise begab ich mich mit einer Kompanie an die Erdoberfläche.
     Wir sollten im Auftrag der Königin das Terrain rund um unser Reich erkunden. Wir marschierten durch die sengende Hitze auf
     heißem, sonnenerwärmtem Gestein, da verfinsterte sich binnen Sekunden die Sonne auf fast schon apokalyptische Art und Weise.
     Meine Augen spähten gen Himmel, und ich erblickte die Sohle einer Frauensandale, die sich unaufhaltsam auf uns herabsenkte.
     Es war so, als fiele uns der Himmel auf den Kopf. Und ich dachte bei mir: «Schon wieder muss ich sterben, weil ein Mensch
     nicht angemessen auf seine Schritte achtet.»

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    |15| 2.   KAPITEL
    Auf Platz vier der miesesten Momente des Tages landete mein Blick in den Spiegel der Flughafentoilette. Der
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