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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Wucher!«, sagte sie und lachte wieder. Da erkannten wir, dass wir es so machen wollten. So wollten wir Milton am Leben halten.
    »Willst du wirklich nicht mitkommen?«, fragte sie.
    »Das wäre zu kompliziert, Mom. Ich will nicht allen alles erklären. Noch nicht. Jetzt würde es zu sehr ablenken. Es ist besser, wenn ich hier bleibe.«
    Im Herzen stimmte Tessie mir zu, daher gab sie bald nach.
    »Ich sage Mrs. Papanikolas, dass sie jiajia nicht Gesellschaft zu leisten braucht.«
    Desdemona sah mich noch immer an, aber ihr Blick war versonnen geworden. Sie lächelte. Und dann sagte sie: »Mein Löffel Recht gehabt.«
    »Scheint so.«
    »Es tut mir Leid, Schätzchen. Tut mir Leid, dass dir das ist passiert.«
    »Ist schon gut.«
    »Tut mir Leid, Schätzchen-mow.«
    »Ich mag mein Leben«, sagte ich zu ihr. »Ich werde ein gutes Leben haben.«
    Sie sah genauso bedrückt aus wie zuvor, also nahm ich ihre Hand.
    »Keine Sorge, jiajia. Ich sag's keinem.«
    »Wem sollst du auch sagen? Sind ja alle tot.«
    »Aber du nicht. Ich warte, bis du nicht mehr da bist.«
    »Okay. Wenn ich bin tot, du kannst alles sagen.«
    »Mach ich.«
    »Bravo, Schätzchen-mow. Bravo.«
    In der Himmelfahrtskirche erhielt Milton Stephanides, zweifellos gegen seinen Wunsch, ein umfassendes orthodoxes Begräbnis. Father Greg vollzog die Zeremonie. Was Father Michael Antoniou betraf, so wurde er später wegen versuchten schweren Diebstahls zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Tante Zo ließ sich von ihm scheiden und zog mit Desdemona nach Florida. Wohin genau? New Smyrna Beach. Wohin auch sonst? Einige Jahre später, als meine Mutter unser Haus verkaufen musste, zog auch sie nach Florida, und bis zu Desdemonas Tod 1980 lebten die drei zusammen wie einstmals in der Hurlbut Street.
    Tessie und Zoe sind noch heute in Florida, zwei allein stehende Frauen.
    Miltons Sarg blieb während der Beerdigungsfeierlichkeit geschlossen. Tessie hatte Georgie Pappas, dem Leichen bestatter, die Hochzeitskrone ihres Mannes gegeben, damit sie zusammen mit ihm begraben werden konnte. Als die Zeit kam, dem Verschiedenen den Abschiedskuss zu geben, defilierten die Trauernden an Miltons Sarg vorbei und küssten den blank polierten Deckel. Zum Begräbnis meines Vaters kamen weniger Leute, als wir erwartet hatten. Keiner der Hercules- Konzessionäre ließ sich blicken, kein einziger der Männer, mit denen Milton jahrelang verkehrt hatte; und so mussten wir erkennen, dass Milton, ungeachtet seiner Jovialität, nie Freunde gehabt hatte, nur Geschäftsfreunde. Stattdessen erschienen Familienmitglieder. Peter Tatakis, der Chiroprakti ker, kam in seinem weinroten Buick, und Bart Skiotis erwies ihm in der Kirche, deren Fundament er mit minderwertigem Material gelegt hatte, die letzte Ehre. Gus und Helen Panos waren da, und weil es ein Begräbnis war, ließ Gus' Tracheotomie seine Stimme noch mehr wie die des Todes klingen. Tante Zo, meine Cousins und die Cousine saßen nicht ganz vorn. Die erste Reihe war für meine Mutter und meinen Bruder reserviert.
    Und so war ich es, der, einen alten griechischen Brauch hochhaltend, an den sich keiner mehr erinnerte, in der Middlesex zurückblieb und die Tür versperrte, damit Miltons Geist nicht mehr ins Haus kam. Das machte immer ein Mann, und nun wurde ich dem gerecht. In meinem schwarzen Anzug und den schmutzigen Wallabees stand ich in der Tür, die für den Winterwind geöffnet war. Die Trauerweiden waren kahl, aber dennoch massig, und sie warfen ihre verdrehten Arme wie Klageweiber in die Luft. Der pastellgelbe Würfel unseres modernen Hauses thronte säuberlich im weißen Schnee. Es war nun nahezu siebzig Jahre alt. Wenngleich wir es mit unseren Stilmöbeln verschandelt hatten, war es noch immer der Leitstern, als der es errichtet worden war, ein Bau mit wenig Innenwänden, der Förmlichkeiten des bürgerlichen Lebens beraubt, ein Bau, geplant für einen neuen, eine neue Welt bewohnenden Menschen. Natürlich kam mir der Gedanke, dass dieser Mensch ich war, ich und mit mir alle, die mir ähnelten.
    Nach dem Begräbnisgottesdienst stiegen die Trauergäste ins Auto, um zum Friedhof zu fahren. Violette Bändchen flatterten an den Antennen, als die Prozession langsam durch die Straßen der alten East Side rollte, wo mein Vater aufgewachsen war, ja wo er meiner Mutter einst von seinem Zimmer aus Ständchen gebracht hatte. Der Autokorso durchquerte die Mack Avenue, und als er an der Hurlbut Street vorbeikam, schaute Tessie aus dem Autofenster
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