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Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc

Titel: Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
Autoren: SF-Online
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Ich langte mit den Fingern der linken Hand in den klaffenden Schnitt, wühlte mich durch das blutige, warme Fleisch in die Tiefe, bis ich ertastete, was ich gesucht hatte: die serielle Leitung CPU-BIOUT-SER, Teilenummer 001-5398-4423.
    Das Herauszerren des Kabels jagte mir einen ziehenden
    Schmerz durch den ganzen Körper und ließ den schwarz
    358
    flimmernden Nebel bedenklich an Boden gewinnen. Ich
    schnappte die Zange, alles mit links, zwickte die Leitung ab und befestigte das vom Arm her kommende Ende provisorisch am Oberarm. Das andere flutschte zurück ins Fleisch. Ich bemühte mich einhändig, die Wundränder zusammenzudrücken und die bereitgelegten Pflaster darüber zu kleben, was mehr schlecht als recht gelang. Wobei es mir vor allem darauf ankam, die Sauerei in Grenzen zu halten. Im zweiten Durchgang half ich mit den Zähnen nach und bekam es so weit hin, dass ich anfangen konnte, die Mullbinden darum zu
    wickeln und so viel Druck aufzubringen, dass die Blutung einigermaßen gebremst wurde.
    Mit einem Stück Papier wischte ich das freigelegte Kabel sauber. Ich schabte das Isoliermaterial von den Drähten, sie mit den bebenden Fingern der Rechten haltend, und verzwirlte sie mit der Kupferlitze des Druckerkabels. Dann gab ich, mit mühsamen Kommandos der rechten Hand, den Befehl zum
    Drucken.
    Es funktionierte auf Anhieb. Die grüne Leuchtdiode am
    Drucker fing an zu blinken, als das Gerät Daten empfing, und kurz darauf schob sich das erste Blatt Papier heraus, ordentlich bedruckt. Ich stellte fest, dass die rechte Hand besser reagierte, als ich zu hoffen gewagt hatte: Während der Druck lief, konnte ich – langsam zwar, aber ich hatte ja Zeit – weiter schreiben.
    Was mir die Gelegenheit gibt, noch das eine oder andere zu ergänzen.
    So sitze ich also hier. Der Lüfter des Druckers surrt so laut, dass ich nichts von dem mitbekomme, was jenseits der Tür vor sich geht. Durch das schmale, hohe Mattglasfenster fällt mildes Licht herein. Ich sehe zu, wie der Stapel bedruckten Papiers wächst. Mein Blut ist kreuz und quer über die Zeitung verteilt, 359
    die von dem Mord an einem Amerikaner namens Victor
    Savannah berichtet.
    Das ist auch so einer dieser merkwürdigen Streiche, die
    einem das eigene Unterbewusstsein spielt, nehme ich an. Der Teil von mir, der das Schreiben besorgt, muss schon lange vor dem Rest meines Bewusstseins geahnt haben, für wen ich all diese Dinge in Wirklichkeit aufgeschrieben habe. Deshalb habe ich mir sozusagen selbst verschwiegen, dass ich es war, der den Agenten getötet hat, den man gestern früh aus dem Hafen
    gefischt hat.
    Ja, ich habe ihn getötet. Vorsätzlich und kühlen Herzens. Ich habe an O'Sheas Nichte und Neffen gedacht und daran, dass er der einzige Mensch gewesen ist, dem ich mich in all der Zeit habe anvertrauen können, und habe den Agenten getötet.
    Ich wusste nicht, dass er Victor Savannah hieß, und wenn, wäre es mir egal gewesen. Vielleicht hieß er auch nicht so.
    Was im Ausweis eines Geheimagenten steht, hat nicht viel zu bedeuten. Ich habe ihm vor der Hoteltür aufgelauert, ihn verfolgt und ihm in einem günstigen Augenblick und mit
    einem einzigen Griff meiner rechten Hand das Genick
    gebrochen. Es war ein leiser und ein schneller, ein unverdient gnädiger Tod. Gewiss, er war Agent und handelte im Dienste seines Landes, nicht aus eigenem Interesse. Er hat, mag sein, nur getan, was er für seine Pflicht hielt. Aber ich eben auch, und ich war stärker.
    Im Nachhinein betrachtet war es ein unvertretbares Risiko, ihn ins Hafenbecken zu werfen. Mir schien es jedoch in dem Moment nötig, um eventuelle Spuren zu verwischen. Vor
    Montagabend sollte kein Kriminalbeamter vor meiner Tür
    auftauchen. Inzwischen ist es Dienstag, und ich bin immer noch unbehelligt. Es scheint mir jetzt, da ich dabei bin, meine 360
    Angelegenheiten zu ordnen, meine Pflicht zu sein, diesen Todesfall nicht unaufgeklärt zu lassen.
    Wobei es mir herzlich egal ist, was zum Beispiel aus
    meinem Haus wird. Auch meine sonstigen Besitztümer – viele sind es ja nicht – kümmern mich zu wenig, um mir ernsthafte Gedanken darum zu machen.
    Eigentlich, wenn ich so darüber nachdenke, gibt es nur einen Gegenstand, dessen Verlust ich wirklich bedauere. Ein Foto, das ich meine Kindheit und Jugend hindurch in der
    Nachttischschublade verwahrt habe wie einen Schatz. Ich
    wollte, ich hätte es noch oder könnte zumindest noch einmal einen Blick darauf werfen; ich weiß aber nicht einmal, wo es
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