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Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Autoren: Marc Spitz
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ihren so umfangreichen wie gewinnträchtigen Backkatalog mit.
    Sie mussten etwas tun, um den Verkauf ihrer früheren Alben anzukurbeln und die Kids auf die alten Sachen aufmerksam zu machen, ohne selbst Staub anzusetzen und auf die Nostalgieschiene zu geraten. Wieder kam ihnen die neueste Technik zu Hilfe. Universal suchte nach einem Coup als Ausgangspunkt für ihre Marketingstrategie, durch den die Medien dazu gebracht werden sollten, sich für die Stones als Musiker und nicht als Boulevardthema oder als abgehalfterte Institution zu interessieren. Die Marketingexperten schlugen vor, eine Neuveröffentlichung von Exile herauszubringen, wobei allen Beteiligten klar war, dass Mick von dieser Idee nicht besonders angetan sein würde. Exile galt lange als das »Keith-Album«. In Interviews hatte Mick in der Vergangenheit die Soundqualität des Albums bemängelt, »nicht nur mit Blick auf den Gesang, sondern weil ich ganz allgemein finde, dass es miserabel klingt«. Ihm gefiel der Nachfolger Goats Head Soup erheblich besser, doch mit dieser Meinung stand er im Großen und Ganzen alleine da. So unterschätzt Goats Head Soup auch sein mag, das Zeug zum Kultalbum hat die Scheibe sicher nicht. Der Kultstatus von Exile hingegen ist unbestritten, es ist eines der Alben, das zahlreiche Musiker stark beeinflusst hat und das häufig zum Vorbild und Maßstab für deren Veröffentlichungen genommen wurde. Man kann nicht behaupten, die Platte wirklich zu kennen, wenn man nicht weiß, wo und unter welchen Umständen sie aufgenommen wurde. Allein der Schauplatz in Südfrankreich ist legendär: die Villa Nellcôte an der Côte d’Azur, ein Herrenhaus mit sechzehn Zimmern, das im Zweiten Weltkrieg als Gestapo-Hauptquartier diente. Die Labour-Partei und die Finanzbehörden hatten die Stones gerade aus England vertrieben. Keith war ein drogensüchtiger Pirat, der nicht ohne Heroin auskam und inmitten des Chaos ein Meisterwerk schuf, dessen Riffs und Soul ihm aus dem unwirklich blauen Himmel in den Schoß gefallen zu sein scheinen. Mick war – ja, wo war Mick eigentlich? Der Exile -Mythos rankt sich in der Hauptsache um Keith. Mick war mit seiner Bianca in Paris. Jetzt, vierzig Jahre später, war Mick endlich bereit, sich selbst in die Geschichte des Doppelalbums, das von vielen als das Meisterwerk der Stones angesehen wird, einzuschreiben und sich nicht nur an der Abmischung zu beteiligen. Er war bereit anzuerkennen, dass diese Platte in weiten Kreisen als Meisterwerk gilt und ihm nun die Möglichkeit gegeben wurde, seine eigene Interpretation mit einzubringen. Kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag hörte er auf, vor der Vergangenheit davonzulaufen; die Überarbeitung von Exile sollte das erste Werk sein, in dem sich Jaggers neue Einstellung niederschlagen würde.
    Jetzt fingen allerdings die Fans an, nervös zu werden. Eine derart große Unruhe hatte es nicht mehr gegeben, seit George Lucas mit seinen Digitalwerkzeugen an der Star Wars -Trilogie rumgebastelt hatte. Exile war ein heiliges Album, etwas Unantastbares. Was zum Teufel dachten sich die Stones dabei? Was fiel ihnen ein, an ihrem eigenen Vermächtnis herumzupfuschen? Das war weitaus raffgieriger und verwerflicher als Pete Townshend, der seine Teenage-Wastland-Hymnen en gros auf den Markt warf, oder als Marlon Brando, der seinen berühmten Dialog aus Der Pate für ein Videospiel neu einsprach. Wussten die Stones nicht, wann es Zeit war, den Hut zu nehmen? Weder sahen sie aus noch klangen sie wie diese schmollenden, abgekämpften Rock’n’Roll-Outlaws mit Strubbelmähne auf der Flucht vor der Polizei und den Steuerfahndern, die »im Angesicht der Tragödie feierten«, wie Lester Bangs es formulierte. Das war so, als würde Sean Connery wieder seine Walther PPK hervorkramen.
    »Ich bin Puristin«, sagt Liz Phair, die 1993 ihre Song-für-Song-Antwort auf das Original der Stones veröffentlichte, »ganz und gar kein Audio-Nerd. Das ist ein absolutes Jungs-Ding. Dennoch will ich nicht, dass meine Traumwelt von irgendeinem neuen Konzept durcheinandergebracht wird. Komm ja nicht und stell irgendeine Scheiße mit meinem Traum an.«
    Für Fans wie Phair bedurfte es mindestens einer Zeitmaschine und einer erneuten Anmietung der Villa Nellcôte, um eine erneute, wie auch immer geartete Bearbeitung von Exile zu rechtfertigen. An einem anerkannten Meisterwerk herumzudoktern war gefährlich. Paul McCartney hatte sich Let It Be von Phil Spector zurückgeholt und 2003 eine neu abgemischte
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