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Meuterei auf der Deutschland

Meuterei auf der Deutschland

Titel: Meuterei auf der Deutschland
Autoren: Klecha Walter Hensel
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Kleinstpartei. Das schubhafte Wachstum könnte erhebliche innerparteiliche Konflikte nach sich ziehen. Die Wähler schließlich unterstützen die Piraten mehrheitlich nicht wegen ihres Programms, sondern in erster Linie aus Enttäuschung über die etablierten Parteien. Dabei scheinen sie auf die Piraten allerlei Erwartungen zu projizieren, welche die junge Partei realistischerweise kaum erfüllen kann. Gleichwohl entsteht der Eindruck, dass die Piraten mit ihren Unzulänglichkeiten bislang ganz gut zurechtkommen und Schwächen durch ihre unkonventionelle politische Kultur und Organisation kompensieren können. Auf die Neuwahlentscheidungen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen haben die örtlichen Parteiführungen mit einer beeindruckenden Mischung aus Cleverness, Unprofessionalität und Improvisationstalent reagiert. Zudem ist es den Piraten bislang in den Landtagswahlkämpfen und ihren sonstigen Medienauftritten gelungen, sich auf bemerkenswerte Weise auf dem Wählermarkt anzubieten. Ihre Führungspersonen wirken geradezu abgeklärt, und dennoch vermitteln sie keineswegs den Eindruck, sie seien »alte Hasen«. Sie kokettieren vielmehr erfolgreich mit einem spielerischen Dilettantismus, thematisieren offen eigene Fehler und Unvollkommenheiten. In Teilen erwecken sie den Eindruck, jene Anti-Parteien-Partei zu sein, als die sich vor 30 Jahren die Grünen präsentierten. Der Vergleich mit den Grünen begegnet uns also in schöner Regelmäßigkeit. Wir werden ihn im Folgenden daher immer wieder aufgreifen.

2. Wurzeln und Entwicklung der Piraten
    Will man den Höhenflug und die ungewöhnliche Kultur der deutschen Piraten verstehen, lohnt sich ein Blick auf deren Entstehung und bisherige Genese. Legt man die Mitglieder- und Organisationsentwicklung zugrunde, lassen sich in ihrer noch jungen Geschichte vier Phasen ausmachen: die eher sachte Frühentwicklung von der Gründung im September 2006 bis zum Frühjahr 2009; eine Phase des rasanten Wachstums, die im Frühsommer 2009 begann und bis kurz nach der Bundestagswahl andauerte; eine Zeit der Stagnation und Konsolidierung zwischen Herbst 2009 und Sommer 2011; und schließlich jene Phase des beschleunigten Wachstums, das seit der Berlin-Wahl im September 2011 anhält (Bieber 2012, S. 33 f.).
    Ebenso interessant wie die ungewöhnliche Entwicklung ist die Herkunft der Piraten. Es handelt sich um eine genuine Neugründung, die den bis dato vom westeuropäischen Parteiensystem nicht oder nicht ausreichend repräsentierten Konflikt um die Folgen der digitalen Revolution aufgegriffen hat. Unabhängig von seiner langfristigen Tragweite stellt er den Ausgangspunkt dar für die grundlegende Agenda, für die Bindung der Kernklientel und die spezifische symbolische Kultur der Partei (Zolleis/Prokopf/Strauch 2010, S. 7 f.). Versucht man, die frühen Piraten mittels eines Konfliktmodells zu ergründen, geraten zwei zentrale Konstellationen ins Visier (Dobusch/Gollatz 2012): Erstens die durch die Expansion des Internets aufgeworfene Auseinandersetzung um den Gebrauch und die Regulierung von Informationen, Wissen und Kultur im digitalen Zeitalter, bei der es vor allem um die Ausgestaltung eines modernen Urheberrechtes geht; zweitens der Konflikt um die fortschreitende Einschränkung von Bürgerrechten im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung (Schulzki-Haddouti 2003), der sich auf verschiedene staatliche Überwachungs- und Regulierungsmöglichkeiten bezieht und sich vor allem an der Frage der Vorratsdatenspeicherung entzündet hat.
    Dabei waren die Piraten keineswegs der erste politische Akteur, der diese Themen artikuliert hat. Vielmehr knüpften sie an verschiedene transnational agierende soziale Bewegungen an (Dobusch/Quack 2011, S. 26 ff.). So wird etwa bereits seit den neunziger Jahren unter dem Stichwort der Wissensallmende eine profilierte, wenngleich sehr akademische Diskussion über die Idee und Praxis immaterieller Gemeingüter geführt. Und auch das Thema digitale Bürgerrechte hat in Deutschland seit der resonanzkräftigen Kampagne gegen die Volkszählung in den achtziger Jahren eine Vorgeschichte. Daneben gab und gibt es spezifische Bewegungsansätze innerhalb der Netzkultur, man denke allein an die Hackerbewegung, die immer wieder auf die Potenziale, aber auch auf die mit den neuen Kommunikationstechnologien verbundenen Probleme hingewiesen hat.
    Diese historischen Wurzeln schlagen sich bei den Piraten programmatisch und kulturell nieder. Nicht nur im Wertehorizont, auch im
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