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Merlin - Wie alles begann

Merlin - Wie alles begann

Titel: Merlin - Wie alles begann
Autoren: Thomas A. Barron
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kleinere
     Jungen weitergab. Einmal hatte Dinatius den Arm eines anderen Jungen schwer verbrannt, der es gewagt hatte, seine römische
     Abstammung anzuzweifeln.
    Das alles war mir gestern durch den Kopf gegangen, als ich versuchte Dinatius zu entkommen. Da sah ich zufällig eine tief
     fliegende Möwe über uns. Ich deutete auf den Vogel und rief: »Schau mal! Ein Geschenk des Himmels!« Dinatius hob den Kopf
     genau in dem Moment, in dem derVogel ein besonders übel riechendes Geschenk von sich gab – das Dinatius direkt ins Auge traf. Während er fluchend versuchte
     sich den Dreck aus dem Gesicht zu wischen, lachten die anderen Jungen und ich floh.
    Ich lächelte bei dem Gedanken, wie knapp ich gestern entkommen war. Zum ersten Mal überlegte ich, ob ich vielleicht ein Talent
     hatte – eine Stärke   –, die noch kostbarer war als die Vorhersage von Ereignissen. Angenommen, nur angenommen . . . ich könnte tatsächlich Ereignisse
lenken
. Machen, dass etwas geschieht. Nicht mit Händen, Füßen oder Stimme. Mit nichts als meinen Gedanken.
    Wie aufregend! Vielleicht war es nur ein Maitraum. Aber wenn es mehr wäre? Ich wollte es ausprobieren.
    Kurz vor der Steinbrücke kniete ich neben einer niedrigen Blume mit fest geschlossener Blüte nieder. Ich konzentrierte meine
     Gedanken auf die Blume und vergaß alles andere. Die frostige Luft, die blökenden Lämmer, der Lärm aus der Schmiede, alles
     wurde ausgeblendet.
    Ich betrachtete die Lavendelfarbe der Blume im goldenen Licht der aufgehenden Sonne. Winzige Haare voller Tautröpfchen bestickten
     die Ränder jedes Blütenblatts, während eine kleine braune Blattlaus über den Kragen aus gefransten Blättern oben am Stängel
     kroch. Die Blume duftete frisch, aber nicht süß. Irgendwie wusste ich, dass ihre verborgene Mitte wie reifer gelber Käse gefärbt
     sein musste.
    Als ich endlich bereit war, konzentrierte ich alle Willenskraft darauf, dass die Blume sich öffnete.
Zeige dich,
befahl ich.
Öffne deine Blütenblätter.
    Ich wartete. Nichts geschah.
    Wieder konzentrierte ich mich auf die Blume.
Öffne dich. Öffne deine Blütenblätter.
    Es geschah immer noch nichts.
    Ich wollte schon aufstehen, da, ganz langsam, fing der Blätterkragen an zu flattern, als würde er von einem schwachen Lufthauch
     berührt. Einen Augenblick später regte sich eins der lavendelblauen Blütenblätter und entfaltete kaum sichtbar einen Rand,
     bevor sie allmählich anfing sich zu öffnen. Ein weiteres Blütenblatt folgte, dann noch eins und noch eins, bis die ganze Blume
     das Morgengrauen mit ausgebreiteten Blütenblättern begrüßte. Und aus der Mitte sprießten sechs zarte Blättchen, die mehr Federn
     als Blütenblättern glichen. Ihre Farbe? Wie reifer gelber Käse.
    Ein brutaler Tritt traf mich in den Rücken. Ich hörte rohes Gelächter, das den Moment so rasch zerstörte, wie ein schwerer
     Fuß die Blume zermalmte.

III
RITT AUF DEM STURM
    S töhnend rappelte ich mich auf. »Dinatius, du Schwein!«
    Der ältere Junge, breitschultrig, mit borstigem braunem Haar, grinste mich höhnisch an. »Du bist der mit den spitzen Ohren
     wie ein Schwein. Oder wie ein Dämon! Jedenfalls lieber ein Schwein als ein Bastard.«
    Ich spürte, wie ich einen roten Kopf bekam, aber ich blieb ruhig. Ich schaute in seine grauen Augen – grau wie ein Gänserücken.
     Dabei musste ich den Kopf in den Nacken legen, weil er so viel größer war. Dinatius konnte schon Lasten schultern, unter denen
     erwachsene Männer schwankten. Er schürte nicht nur das Feuer des Schmieds – das allein war schweißtreibende, schwere Arbeit   –, er schlug auch das Feuerholz und trug es herbei, trat den Blasebalg und schleppte zentnerweise Eisenerz. Dafür gab ihm
     der Schmied täglich eine Mahlzeit oder zwei, einen Strohsack zum Schlafen und viele Ohrfeigen.
    »Ich bin kein Bastard!«
    Dinatius rieb sich langsam die Stoppeln am Kinn. »Wo versteckt sich dann dein Vater? Vielleicht ist er ein Schwein! Oder vielleicht
     eine von den Ratten, die mit dir und deiner Mutter leben.«
    »Bei uns zu Hause gibt’s keine Ratten.«
    »Zu Hause! Das nennst du ein Zuhause? Es ist nur eindreckiges Loch, in dem sich deine Mutter versteckt und ihre Hexerei treibt.«
    Ich ballte die Fäuste. Dass er mich verspottete, kränkte mich schon genug, aber dass er so grob von
ihr
sprach, brachte mein Blut zum Kochen. Doch ich wusste, dass Dinatius mich zu einer Prügelei herausfordern wollte. Ich wusste
     auch, wie sie
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