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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Autoren: Hammesfahr Petra
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vertrugen. Er hatte sieben Jahre gesessen, weil er eine junge Frau nach einem netten Abend übel zugerichtet hatte. Mit einem Messer! So einen stellte man nicht seiner Tochter vor. Auch dann nicht, wenn einen die Tochter im Grunde nicht interessierte.
    An dem Montagabend, als Irene in die Kneipe kam, stand Ohloff neben ihm am Tresen. Merkel hatte mit der Zeit erreicht, dass er ihn nicht mehr privat belästigte und sie sich nur noch montags in der Kneipe trafen. Den einen Abend investierte er und hatte dafür die Gewissheit, dass Ohloff ihn den Rest der Woche in Ruhe ließ.
    Aber Ohloff war nicht der wirkliche Grund für sein abweisendes Verhalten. Dass sie hier auftauchte, fand er einfach aufdringlich, um nicht zu sagen unverschämt. Auf den Gedanken, dass Agnes sie über seine Gewohnheiten informiert haben könnte, kam er nicht, nahm an, sie habe hinter ihm her spioniert. Das machte ihn wütend. Er war nahe daran, ihr zu sagen, sie solle sich gefälligst um ihren Schönling von Ehemann kümmern und ihn in Frieden lassen. Dass er es dann doch nicht tat, lag vielleicht nur an ihrer Kleidung.
    Auf dem Friedhof, in dem schwarzen Kostüm, mit dem Hut und dem albernen Schleier, war sie eine Fremde gewesen. Und wie sie da vor ihm gestanden hatte, als sie ihm diese lächerliche Visitenkarte in die Hand drückte, fast so groß wie er selbst auf ihren hochhackigen Pumps, da trennten sie Welten voneinander.
    Er hatte in dem Moment die prachtvolle Villa vor sich gesehen, in der seine Frau und ihr Friedmann verschwunden waren. Wie konnte ein Mann nur Friedmann heißen? Aber darüber hatte er in den Sekunden auf dem Friedhof nicht nachgedacht. Nur über das Haus, in dem seine Tochter aufgewachsen war. Schon aus dem Grund konnten sie keine Gemeinsamkeit mehr haben.
    An diesem Montag in der Kneipe trug sie offene, flache Sandalen, in denen ihre nackten Füße steckten. Auf ihren Zehennägeln waren Reste von Nagellack. So etwas hätte es bei seiner Frau nie gegeben, da waren die Nägel an Fingern und Zehen immer makellos gewesen. Sie trug eine verwaschene Jeans und ein kariertes Hemd dazu, fast als arbeite sie wie Ohloff zeitweise auf dem Bau. Das dünne blonde Haar wurde im Nacken von einem Gummi zusammengehalten. Von ihrer Schulter hing ein bunter, prall gefüllter Leinenbeutel. In dieser Aufmachung war sie ihm so ähnlich.
    Sie stellte sich neben ihn, vielmehr zwischen ihn und Ohloff. Es war eine kleine Kneipe, viel Platz war nicht an der Theke. Und sie konnte ja nicht wissen, dass sie um Ohloff besser einen weiten Bogen gemacht hätte. Sie grüßte nicht lange, bot ihm auch nicht die Hand, lachte ihn nur an und sagte: «Die Nase muss ich auch von dir haben, Papa.» Und Merkel sah förmlich, wie sich Ohloffs Ohren aufstellten. Papa, das hätte sie sich besser verkniffen.
    «Scherz beiseite», fuhr sie fort. «Ich habe dich nicht gerochen. Agnes hat mir erzählt, dass du montags immer hier bist. Ich war gerade in der Nähe und dachte, ich sag mal schnell guten Tag.»
    Kein Wort darüber, dass er ihre Einladung für einen Sonntagnachmittag bisher ignoriert hatte. Sie bestellte sich einen Kaffee und betrachtete ihn von der Seite. Ohloff, der dicht hinter ihr stand, ließ sie nicht aus den Augen. Aber Ohloff versuchte es bei jeder, da hätte eine kommen können ohne Zähne oder mit einem Hintern wie ein Brauereipferd. Merkel hatte es mehr als einmal erlebt. Für Ohloff war es gar nicht wichtig, ob eine Frau hübsch war oder hässlich, Hauptsache eine Frau.
    Sie nahm keine Notiz von Ohloff, hatte anscheinend nicht gesehen, dass Merkel sich zuvor mit ihm unterhalten hatte. Sie lachte wieder, nicht mehr gar so frei und offen wie zur Begrüßung. «Keine Sorge, Papa», sagte sie. «Ich will nichts von dir. Du musst nicht denken, jetzt wo die anderen weg sind, würde ich mich an deinen Hemdzipfel hängen, nachdem ich in den letzten Jahren nichts mehr von mir habe hören lassen.»
    In den letzten Jahren! Das klang nach drei oder vier. Für Merkel waren es achtzehn. Von all den Briefen, die sie ihm bis zum sechzehnten Lebensjahr geschrieben hatte, wusste er nichts. Kurt hatte ihm nie einen davon ins Gefängnis gebracht. Wozu auch? Kurt kannte ihn doch. Als Irene zu schreiben begann, war Merkel seit vier Jahren tot. Und Kurt hatte damals zu Agnes gesagt: «Tote muss man in Frieden lassen.»
    Merkel wusste auch nicht, was er ihr antworten sollte. Es störte ihn, dass sie ihn schon wieder so einfach Papa nannte. Es störte ihn noch mehr, dass
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