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Menu d'amour

Menu d'amour

Titel: Menu d'amour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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Baskenmütze mit jener gewissen kleinen Eitelkeit zurechtzog, die mich rührte, oder wie sie drei Löffel Zucker in ihren café crème häufte und dann jedes Mal vergaß, umzurühren. Ich liebte ihre unbekümmerte Art, Milord zu singen, auch wenn es sich grauenvoll anhörte, weil sie keinen einzigen Ton traf. Und ich liebte diesen kleinen braunen Sprenksel in ihrem linken Auge, der nur mir gehörte und den dieser selbstherrliche Alessandro niemals im Leben bemerken würde. Valérie und ich waren es doch, die dasselbe Lieblingsbuch teilten, und uns verband so viel mehr als nur Liebe oder nur Freundschaft.
    Ich lag auf dem Bett, starrte an die Decke und erfand sogar ein Wort, um meine besondere Beziehung zu Valérie zu beschreiben – es war die l’amourté , eine Mischung aus l’amour und l’amitié  – für mich das wertvollste aller Gefühle. Doch nun, wurde mir plötzlich bewusst, stand ich da mit meiner tollen amourté und hatte mich selbst ins Abseits katapultiert.
    »Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen«, hatte mein Vater, der in den letzten Tagen des Algerienkriegs durch einen Schuss, der sich versehentlich aus dem Gewehr eines Kameraden löste, ums Leben gekommen war, mir immer hinterhergerufen, wenn ich als zorniger Dreizehnjähriger die Tür hinter mir zuknallte. Ich musste an seine Worte denken, die so wahr waren. Wie kam ich wieder herein nach all den Wochen? Ich wollte doch nichts lieber, als die Tür wieder öffnen, die ich hinter mir zugeschlagen hatte.
    Es war noch früh am Morgen, als ich ans Fenster trat und eine Weile ratlos die Bäume betrachtete, deren Blätter wie buntes Löschpapier an den Ästen hingen. Dann ging ich zu meinem Bücherregal, zog den Großen Meaulnes heraus und machte mich entschlossen auf den Weg.
    Die Vorlesung hatte gerade angefangen, als ich ihre eiligen Schritte hörte. Valérie flog die Treppen herauf und blieb überrascht stehen, als sie mich an der Tür des Hörsaals lehnen sah.
    » Salut , Henri! Warum gehst du nicht rein?«, stieß sie atemlos hervor.
    » Salut , Valérie. Ich hab auf dich gewartet«, sagte ich, mindestens ebenso atemlos. Es tat so gut, ihren Namen endlich wieder auszusprechen. »Hier«, ich zog das Buch aus meiner Tasche. »Das wollte ich dir noch zurückgeben.«
    Sie sah mich mit zögerndem Blick an und ich suchte nach dem kleinen braunen Fleck in ihrem Auge. »Du kannst es behalten, wenn du magst.«
    »Ich dachte, es wäre dein Lieblingsbuch.« Der Zweifel begann sofort in mir zu nagen. »Oder bedeutet es dir nichts mehr?«
    »Doch«, sagte sie. »Es bedeutet mir was. Deswegen möchte ich ja, dass du es behältst, Idiot.«
    »Danke«, sagte ich beschämt.
    Wir sahen uns eine Weile schweigend an, dann lächelte sie plötzlich und streckte mir die Hand hin. »Sind wir wieder Freunde?«
    Ich nahm ihre Hand, atmete tief durch und spürte die grenzenlose Erleichterung, die mich ergriff.
    An diesem Vormittag kam Valérie Castel nicht zu spät in die Vorlesung von Professor Caspari. Sie kam gar nicht. Sie spazierte mit einem dummen Studenten, der einfach nur froh war, neben ihr zu gehen, durch den Jardin du Luxembourg.

10
    Vielleicht wird besonderer Edelmut im Himmel belohnt, vielleicht war aber es einfach auch nur einer jener Zufälle, die erst im Nachhinein einen Sinn ergeben – jedenfalls machte ich etwa eine Woche später einen Fund, der mich all meine hehren Gedanken zum neuen Stand der amourté schnell vergessen ließ. Ich durchstöberte gerade die Holzkästen am Ufer der Seine, in denen die Bouquinisten ihre Schätze ausgebreitet hatten, als mir ein abgegriffenes, in ochsenblutrotes Leder gebundenes Büchlein ins Auge fiel. Les Elixirs de la Mort et de l’Amour . Die verblichenen Goldlettern auf dem Einband waren schwer zu entziffern. Neugierig blätterte ich durch die vergilbten Seiten des Büchleins, in denen es ganz offensichtlich um todsichere Rezepturen ging, mit denen man sich unliebsame Zeitgenossen vom Hals schaffte. Es war die Abschrift eines berühmten italienischen Giftmischers, der am Hofe Henris IV . offenbar ein gefragter Mann gewesen war, wenn es darum ging, blütenweiße Spitzennachthemden mit unsichtbarem Pulver zu bestäuben, um einflussreiche Mätressen für immer zu entstellen, oder machthungrige Fürsten mit einem wohlschmeckenden Trunk in ein hohes Fieber zu treiben, das in ewiger Umnachtung endete.
    Es gab sogar eine Rezeptur, wie man die potentia coeundi eines lästigen Nebenbuhlers für immer ausschalten

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