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Menu d'amour

Menu d'amour

Titel: Menu d'amour
Autoren: Nicolas Barreau
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ein bisschen übertreibst?«, hatte Georges gefragt, als er meine Verzweiflung sah. » Ein Nachtisch hätte doch auch gereicht.«
    Natürlich hätte ein Dessert gereicht, aber wusste Georges, wie unwiderstehlich das halbgefrorene, leicht bittere Blutorangenparfait zu dem warmen duftenden Schokoladenküchlein schmecken würde? Und kannte die Liebe überhaupt das Wort Übertreibung? Ich hatte fast die Hälfte meines kärglichen Monatssalärs für dieses Festmahl ausgegeben.
    Auch wenn ich im Besitz des Elixirs war – von dem ich, einem verrückten Aberglauben gehorchend, nicht einmal Georges etwas erzählt hatte –, so wollte ich dennoch für Valérie Castel das beste, das raffinierteste, das köstlichste Menu zubereiten, das jemals ein Mensch gegessen hatte.
    Georges hatte mir schließlich die Form aus der Hand gerissen und sie kurzentschlossen zu Madame Bezier gebracht. Das war eine feine alte Dame, die unter uns wohnte und manchmal in ohrenbetäubender Lautstärke ihre alten Beethoven-Platten hörte. Sie war alleinstehend, aber mit Eisschrank.
    Ich hatte Valérie für acht Uhr bestellt. Und weil mir klar war, dass sie wie stets nicht pünktlich sein würde, hatte ich ein Gericht gewählt, bei dem es nicht auf Pünktlichkeit ankam. Im Gegenteil – je länger das Lammfleisch bei kleiner Flamme im Rotwein schmorte, desto zarter würde es sein.
    Als ich die Backofentür öffnete, schlug mir ein heißer, nach Kräutern duftender Schwall Luft entgegen. Ich nahm die Topflappen, packte die schwere Casserole und stellte sie auf dem gusseisernen Herd ab. Dann öffnete ich den Topf, rührte noch einmal mit dem Holzlöffel in dem Ragout und kostete. Das zartherbe Aroma eines zerplatzenden Granatapfelkerns legte sich auf meine Zunge, bevor ich das Fleisch zerkaute, das weich wie Butter war. So musste das Paradies schmecken!
    Schließlich trat ich ans Regal, langte nach oben, schob die Blechdosen mit Mehl, Zucker und Salz beiseite und holte das Fläschchen hervor, das ich dort versteckt hatte. Mit klopfendem Herzen betrachtete ich den kostbaren Inhalt, der grünlich schimmerte und ein bisschen gefährlich aussah.
    Coquine, die von ihrem Lieblingsplatz auf dem Besenschrank den ganzen Tag über aufmerksam das geschäftige Treiben beäugt hatte, sprang mit einem Satz herunter und strich mir auffordernd um die Beine. »Jetzt nicht, Coquine«, sagte ich nervös.
    Es war halb acht, als ich vorsichtig den Verschluss der kleinen Flasche aufdrehte und zum Herd trat, wo das Lammragout köchelte. Nun würde das Menu d’amour seine letzte und wichtigste Zutat bekommen.
    In diesem Moment klingelte es an der Tür.

13
    An diesem Freitag kam Valérie Castel zum ersten Mal nicht zu spät. Sie kam eine halbe Stunde zu früh und setzte damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die ich erst später mühsam rekonstruierte. Ich wischte mir die Hände an der Schürze ab, stolperte fast über die Katze und trat ungehalten in den Flur, überzeugt davon, dass es der vergessliche Georges sein musste, der das Fehlen seines Schlüssels nun doch noch bemerkt hatte und zurückgekehrt war.
    Mit einem leisen Fluch riss ich die Wohnungstür auf und sah in zwei blaue Augen, die mich erstaunt anschauten.
    »Komme ich zu früh?« Valérie stand da, mit geröteten Wangen, in ihrem blauen Mantel und ihrer Kappe und lächelte etwas zaghaft. Sie roch nach Regen und in der Hand hielt sie ein Körbchen mit Kirschen.
    »Nein … äh … nein«, stammelte ich und riss mir die Schürze herunter. »Du kommst keine Sekunde zu früh – ich meine, du kommst genau richtig.« Ich trat einen Schritt zurück, um sie hereinzulassen. »Es ist alles fertig.«
    »Ja. Es duftet schon im ganzen Treppenhaus«, sagte sie und hielt mir die Kirschen entgegen. »Hier, das habe ich uns zum Nachtisch mitgebracht.«
    »Oh! Wunderbar! Danke!« Ich nahm ihr das Körbchen ab und dachte flüchtig an mein Blutorangenparfait im Eisfach von Madame Bezier. »Komm, gib mir deinen Mantel.« Ich machte die Zimmertür von Georges kurz auf und warf Valéries Mantel hinein.
    Sie blickte sich interessiert um. »Hier wohnt ihr also. Sehr nett«, meinte sie.
    »Na ja, wir hausen eher hier«, entgegnete ich. »So unter dem Dach. Aber ich mag das Quartier.«
    »Ja, das Viertel ist sehr schön«, wiederholte sie. »Ist Georges gar nicht da?«
    »Georges konnte nicht … er ist zu seiner Verlobten gefahren«, sagte ich schnell. »Möchtest du ein Glas Wein? Setz dich schon mal, ich komme sofort.«
    Das
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