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Menschliche Einzelteile (German Edition)

Menschliche Einzelteile (German Edition)

Titel: Menschliche Einzelteile (German Edition)
Autoren: Niels Peter Henning
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kommt dieser bekloppte Banker – und er hat
eine Schrotflinte dabei! Fahr! Fahr! Fahr!“
    Für
den Bruchteil einer Sekunde erlaubte sich Sören, so etwas wie
Hoffnung in seinen Gedanken aufblitzen zu lassen. Der Eisenonkel
kam, um ihn zu retten!
    Dann
bellte draußen ein Schuss. Etwas donnerte gegen die Seitenwand
des Fahrzeuges und alle schrien auf.
    Remo
brüllte: „Faaahr!“
    Und
Heino, der Buddha, startete den Motor.
    Alle
Hoffnungen in Sörens Kopf verpufften, als das Triebwerk des
Transporters zum Leben erwachte. Es klang, als würde eine
Munitionsfabrik explodieren! Wenn Sören nicht im Kugelhagel der
Gangster oder durch einen ungezielten Schuss des Eisenonkels ums
Leben kam, dann würde dieser Motor in die Luft fliegen und ihn
töten.
    Dabei
hatte er doch nur ein Wochenende bei seinem Onkel, Wotan Vieth,
verbringen wollen müssen …

2. Sören Gieselbert Vieth-Lawaczek

    Seit
seiner Geburt lebte Sören sicher und behütet in den Fängen
seiner Mutter, Agnes Freya Vieth-Lawaczek. Über Agnes'
Schwierigkeiten, ihrem Sohn das Tragen von Windeln abzugewöhnen,
soll an dieser Stelle geschwiegen werden – das hatte nichts
mit Sörens Geiselnahme zu tun.
    Zumindest
nicht direkt.
    Im
Alter von vier Jahren entwickelte Sören eine Vorliebe für
Nudelsuppe – und zwar ausschließlich für
Nudelsuppe. Fortan weigerte sich der kleine Sören, etwas
anderes zu sich zu nehmen. Eine Vorliebe, die Agnes nur zu gerne
bediente. Schließlich fand sie es chic ,
ein Kind mit einer Essstörung zu haben.
    Als
schließlich eine ärztliche Behandlung wegen einseitiger
Ernährung nötig wurde, jubilierte Agnes Freya. Schließlich
konnte sie sich mit dieser Geschichte wieder bei ihren Freundinnen
in den Vordergrund spielen, denn es war ja so unheimlich chic ,
wenn das Kind vom Arzt behandelt werden musste.
    Doch
auch dies spielte bei Sörens Geiselnahme keine Rolle. Zumindest
nicht unmittelbar.
    Mit
seiner Anmeldung im Kindergarten begann für den kleinen Sören
schließlich der Ernst des Lebens – und das Leiden.
Bereits nach wenigen Tagen und einer Reihe von Keilereien, die Sören
weder angezettelt noch gewonnen hatte, meldete Agnes Freya ihren
Spross beim Kindergarten ab und beim Kinderpsychologen an. Agnes
Freya fand es einfach nur chic ,
ein Kind in Therapie zu haben!
    Sören
hingegen stand der Sache recht neutral gegenüber. Einerseits
stand ein Vierjähriger so ziemlich allem neutral gegenüber,
andererseits sorgten die Psychopharmaka dafür, dass Sören
so ziemlich allem neutral gegenüber stand.
    In
der Schule flüchtete Sören in die Mittelmäßigkeit.
Wie er schon früh herausfand, blieben alle verschont, die sich
nicht besonders hervortaten. Das machte sich Sören zur Tugend.
Nach einiger Zeit gelang es ihm, sich unauffällig genug zu
verhalten, um von seinen Schulkameraden komplett übersehen zu
werden. Schließlich überlebte er lange genug, um einen
mittelmäßigen Realschulabschluss auf die Beine zu
stellen.
    Nach
seinem Schulabschluss hatte Sören dann zunächst seine
Tätigkeit als Sohn aufgenommen. Vollzeit. Dabei hatte er sich
die Zeit mit Videospielen vertrieben. Dies brachte ihn auf seinem
Lebensweg zwar kein Stück weiter, doch es genügte Sören
als Alternative zur Arbeitssuche. Außerdem brachten gerade die
Ballerspiele einen gewissen Lerneffekt mit sich: Nach einiger Zeit
konnte Sören jede nur erdenkliche Schusswaffe auf den ersten
Blick identifizieren.
    Als
er eines Tages das erste Online-Spiel versucht hatte, war er von
seinen meist jüngeren Mitspielern ohne Gnade vorgeführt,
beschimpft und schließlich aus dem Spiel geworfen worden. Dies
hatte ihm eine Reihe von Sondersitzungen bei seinem Therapeuten
eingebracht. Dieser hatte ihm an Ende geraten, zukünftig von
Videospielen die Finger zu lassen und stattdessen auf Seidenmalerei
oder Makramee umzusteigen.
    So
konnte es nicht weitergehen, entschied Agnes Freya. Zeit, dem Jungen
einen Schubs in die richtige Richtung zu geben. Niemand war dafür
höher qualifiziert als Agnes Freyas älterer Bruder:

3. Wotan Vieth

    Sören
nannte ihn den „Eisenonkel“.
    Und
er konnte ihn nicht ausstehen.
    Niemand
konnte Wotan Vieth ausstehen.
    Auf
einen Außenstehenden wirkte Wotan Vieth mit seiner grauen
Bürstenfrisur stets wie einer dieser besonders fiesen
Militärausbilder - einer dieser Napoleons, die nicht gewachsen,
sondern aus Stacheldraht zusammengeknotet worden waren. Ein
richtiger Schleifer, der seine Männer leiden ließ, bis
ihnen das Wasser im Arsch
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