Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenjagd

Menschenjagd

Titel: Menschenjagd
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Türen schnappten wieder auf. Richards, der alle Anwesenden in der Kabine überragte, konnte einen riesigen Wartesaal mit einer Unmenge von Stühlen sehen, der von einem überdimensionalen Free-Vee-Bildschirm beherrscht wurde. In einer Ecke stand ein Zigarettenautomat.
    »Aussteigen! Aussteigen! Ausweise nach links vorzeigen!«
    Sie stiegen aus und hielten ihre Ausweise vor die unpersönliche Linse einer Kamera. Drei Cops standen daneben. Aus irgendeinem Grund wurde bei rund einem Dutzend Ausweisen ein Summton ausgelöst. Die Besitzer wurden aus den Reihen ausgesondert und abgeführt.
    Richards zeigte seine Plastikkarte und wurde weitergewiesen. Er ging zum Zigarettenautomaten, zog sich eine Packung Blams und setzte sich so weit wie möglich vom Free-Vee weg. Er zündete sich eine an und atmete hustend aus. Er hatte seit fast sechs Monaten keine Zigarette mehr geraucht.

… Minus 096 Countdown läuft …
     
    Sie riefen die A fast augenblicklich zur ärztlichen Untersuchung und ungefähr zwei Dutzend Männer standen auf und gingen nacheinander durch eine Tür hinter dem Free-Vee-Schirm. Auf einem großen Schild über der Tür stand: HIER ENTLANG. Unter die Buchstaben war ein Pfeil gezeichnet, der auf die Tür zeigte. Es war allgemein bekannt, dass unter den Bewerbern für die Spiele viele Analphabeten waren.
    Alle fünfzehn Minuten oder so war der jeweils nächste Buchstabe fällig. Ben Richards hatte sich gegen siebzehn Uhr hingesetzt. Er schätzte, dass es mindestens Viertel vor neun werden würde, bevor sie reingerufen würden. Wenn er sich doch bloß ein Buch mitgenommen hätte, aber vermutlich war es so besser. Bücher wurden bestenfalls mit Misstrauen betrachtet, besonders, wenn sie bei jemandem südlich vom Kanal gesehen wurden. Pornomagazine waren sicherer.
    Unruhig sah er sich die Sechs-Uhr-Nachrichten an (die Kämpfe in Ecuador waren heftiger geworden; in Indien waren neue Kannibalen-Aufstände ausgebrochen; die Detroit Tigers hatten die Harding Catamounts am Nachmittag 6 zu 2 geschlagen). Als um halb sieben das erste Riesengewinnspiel des Abends begann, ging er unruhig ans Fenster und sah hinaus. Jetzt, da er einen Entschluss gefasst hatte, langweilten die Spiele ihn wieder. Die meisten seiner Genossen saßen jedoch mit furchtsamer Faszination vor dem Bildschirm und sahen sich Schießen macht Spaß an. Vielleicht waren sie nächste Woche dran.
    Draußen ging das Tageslicht langsam in die Abenddämmerung über. Die Hochbahnen rasten mit voller Geschwindigkeit über Gleise, die etwas über den Fenstern im ersten Stock verliefen. Ihre Scheinwerfer bohrten sich in das graue Abendlicht. Unten auf den Bürgersteigen gingen Scharen von Männern und Frauen (die meisten von ihnen natürlich Technikos oder Angestellte des Networks) auf die Pirsch nach nächtlicher Unterhaltung. Ein offizieller Pusher verhökerte seine Ware an der gegenüberliegenden Straßenecke. Ein Mann, der an jedem Arm ein Püppchen im Zobel hatte, ging unter ihm vorbei. Die drei lachten über irgendetwas.
    Plötzlich durchflutete ihn eine Woge von Sehnsucht nach Sheila und Cathy, und er wünschte, er könnte sie anrufen. Aber er glaubte nicht, dass das erlaubt war. Er konnte immer noch einfach gehen, natürlich. Ein paar hatten das schon getan. Sie hatten den Raum durchquert, ein verkniffenes Grinsen auf den Lippen, und waren durch die Tür mit der Aufschrift ZUR STRASSE verschwunden. Zurück in die kalte Wohnung, mit Cathy, die im Nebenzimmer glühend vor Fieber lag? Nein. Kann nicht. Kann nicht.
    Er blieb noch eine Weile am Fenster stehen, ging dann zurück und setzte sich. Das nächste Spiel Grab dir dein Grab fing an.
    Der Mann neben ihm zupfte ihn ängstlich am Ärmel. »Stimmt es, dass sie schon mehr als dreißig Prozent bei der ärztlichen Untersuchung aussieben?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Richards.
    »Herrgott«, murmelte sein Nachbar. »Ich hab eine Bronchitis. Vielleicht Tretmühle zum Zaster …«
    Richards wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Das Atmen des Burschen klang wie ein weit entfernter Diesellaster, der versuchte einen steilen Hügel zu erklimmen.
    »Ich hab Familie«, sagte der Mann mit leiser Verzweiflung.
    Richards blickte auf den Free-Vee, als würde es ihn interessieren.
    Der Mann schwieg eine lange Zeit. Um halb acht, als das Programm sich änderte, hörte Richards, wie er seinen anderen Nachbarn nach der ärztlichen Untersuchung fragte.
    Draußen war es inzwischen vollständig dunkel. Richards fragte sich,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher