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Menschenjagd

Menschenjagd

Titel: Menschenjagd
Autoren: Stephen King
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Babys gemessen hatte.
    Mrs. Jenner schlich leise heran und zupfte an der Schürze. »Schätzchen«, flüsterte sie. »Ich kann dir Penizillin besorgen … wirklich billig … auf dem Schwarzmarkt … wenn das Geld kommt … gute Qualität …«
    »Raus hier!«, schrie sie die Frau an.
    Mrs. Jenner zuckte zusammen. Ihre Oberlippe zog sich instinktiv von ihren geschwärzten Zahnstümpfen zurück. »Hab ja nur helfen wollen«, murmelte sie und eilte zurück in ihr Zimmer.
    Kaum gedämpft durch das dünne Plastikholz wimmerte Cathy ununterbrochen. Mrs. Jenners Free-Vee plärrte und johlte. Der Kandidat in der Tretmühle zum Zaster hatte eine Bonusfrage nicht beantwortet und gleichzeitig eine Herzattacke bekommen. Jetzt wurde er unter Beifall der Zuschauer auf einer Gummitrage aus dem Studio befördert.
    Mrs. Jenners Oberlippe hob und senkte sich wie zum Takt eines Metronoms, als sie sich Sheila Richards’ Namen in ihrem Büchlein notierte. »Wir werden ja sehen«, sagte sie vor sich hin. »Wir werden es ja sehen, Mrs. Tausendschön.«
    Mit einem bösartigen Schnappen schloss sie ihr Notizbuch und machte es sich gemütlich, um sich das nächste Spiel anzusehen.

… Minus 099 Countdown läuft …
     
    Als Richards auf die Straße trat, war aus dem Nieseln Dauerregen geworden. Das große »Kostenlose Dope-Ziggis – grenzenlose Halluzinationen«-Thermometer auf der gegenüberliegenden Straßenseite zeigte zehn Grad an. (Genau die richtige Temp für einen Joint – High bis zum n-ten Grad.) Dann müssten es jetzt ungefähr fünfzehn Grad in ihrer Wohnung sein. Und Cathy hatte Grippe.
    Eine Ratte trottete faul über den rissigen, geborstenen Asphalt der Straße. Am Randstein stand das rostige Skelett eines Humber aus dem Jahr 2013 auf verrotteten Achsen. Der Wagen war vollständig ausgeschlachtet worden, selbst die Radlager und der Motorsockel, aber die Cops schleppten ihn nicht ab. Die Cops wagten sich überhaupt nur noch selten auf die südliche Seite des Kanals. Co-Op City war ein strahlenförmig angelegtes Rattenlabyrinth aus Parkplätzen, verlassenen Läden, Einkaufszentren, leeren Stadtparks und asphaltierten Kinderspielplätzen. Hier galt das Gesetz der Rockerbanden, und alle Nachrichten über die unerschrockene Blockpolizei von South City waren nichts weiter als ein Haufen warmer Scheiße. Die Straßen waren ausgestorben und gespenstisch still. Wenn man ausging, nahm man entweder den Pneumobus oder hatte eine Gasflasche bei sich.
    Er ging schnell, ohne sich umzusehen, ohne nachzudenken. Die Luft war schwefelig und stickig. Vier Motorräder rasten an ihm vorbei, und irgendjemand warf mit einem gezackten Stück Asphalt. Richards wich problemlos aus. Zwei Pneumobusse überholten ihn, die ausströmende Pressluft schüttelte ihn durch, aber er ließ sie nicht anhalten. Seine wöchentliche Arbeitslosenunterstützung von zwanzig Dollar (Altdollar) war schon ausgegeben. Er hatte kein Geld, um sich eine Wertmarke zu kaufen. Er nahm an, die Rockerbanden konnten spüren, dass er arm war. Jedenfalls wurde er nicht belästigt.
    Hochhäuser, Siedlungen, Maschendrahtzäune, Parkplätze – leer bis auf ein paar ausgeschlachtete Wagenleichen -, Obszönitäten, mit weicher Kreide auf den Asphalt gekritzelt, die nun im Regen verschwammen. Eingeschlagene Fensterscheiben, Ratten, nasse Abfalltüten, geplatzt, ihr Inhalt über den Bürgersteig und in der Gosse verteilt. Graffiti, in ungelenken Buchstaben auf graue, zerbröckelnde Mauern gekritzelt: LASS DIR DIE SONNE NICHT UNTERGEHEN HONKY HÖRST DU. KAI MACHT UNS HIGH. DEINE MAMA IST GEIL. SCHÄL DEINE BANANE. TOMMY IST EIN PUSHER. HITLER WAR COOL. MARY. SID. JAGT ALLE JUDEN ÜBER DEN JORDAN. Die alten, in den Siebzigerjahren von General Atomics aufgestellten Straßenlampen waren mit Steinen oder Asphaltbrocken zerschmissen worden. Hier unten würde kein Techniko sie austauschen. Technikos stehen auf den Neu-Kredit-Dollar. Technikos bleiben uptown, Baby. Uptown ist cool. Alles still bis auf das schnell anschwellende und ebenso schnell abklingende Wusch der Pneumobusse und das hallende Echo von Richards’ Schritten. Dieses Schlachtfeld erwacht nur nachts zum Leben. Tagsüber herrscht hier eine graue, einsame Stille, von keiner Bewegung unterbrochen; nur die Katzen sind immer da, die Katzen und die Ratten und die fetten weißen Maden, die sich durch den Unrat wühlen. Keine Gerüche, nur der Verwesungsgestank dieses schönen Jahres 2025. Die Free-Vee-Kabel sind sicher unter der Straße
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