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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte
Autoren: Helmut Schmidt
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solche Entwicklung zu einer entsprechenden Verschärfung des sowjetischen Druckes auf diese Länder führen könnte.
    Damit sind die Grenzen der Handlungsfreiheit der Bundesrepublik noch keineswegs vollständig aufgezählt. Die Riegelstellung Deutschlands macht das Territorium unseres Staates nämlich zugleich zum wichtigsten europäischen Aufmarschgelände für die Boden- und die taktischen Luftstreitkräfte des Westens und damit, in der Theorie der Militärs beider Seiten, zum potentiell wichtigsten Kampfgebiet. Für das Gebiet der DDR gilt – aus umgekehrten Gründen – das gleiche. So ist für die Deutschen in beiden deutschen Staaten die für Friedenszeiten völlig ungewöhnliche Konzentration
fremder und eigener Truppen – einschließlich »taktischer« Nuklearwaffen in großer Zahl – eine ständige Erinnerung an die prekäre Natur ihres Friedens. Wann immer militärische Pläne und Waffenstationierungen öffentlich diskutiert werden, schlagen verständlicherweise Wellen der Angst hoch. Das in der Bundesrepublik wie in der DDR verbreitete Bewußtsein, in einem der wichtigsten nuklearen Zielplanungsräume der Welt zu leben, kommt ja nicht nur aus Angstträumen, sondern auch aus einer präzisen Beurteilung der Lage. Zugleich liegt darin die Quelle des bei uns besonders ausgeprägten Wunsches nach beiderseitiger, vertraglich ausgehandelter Rüstungsverminderung.
    Dies alles gilt, wie gesagt, auch für die Menschen im anderen deutschen Staat, und es gilt fraglos auch für den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker sowie für zukünftige Staatslenker der DDR. Allerdings hat die Staatsführung der DDR in einem entscheidenden Punkt eine wesentlich schlechtere Ausgangsposition als die Bundesregierung. Sie weiß nämlich ihre politische Existenz abhängig von der Anwesenheit sowjetischer Truppen. Im Bewußtsein der Bürger der Bundesrepublik dagegen ist die Demokratie, wenn auch ursprünglich von den westlichen Siegermächten verordnet, inzwischen so selbstverständlich und funktionstüchtig geworden, daß sie schon lange keine ausländischen Stützen mehr benötigt. Und dennoch darf die Bundesregierung, auch wenn sie von der Legitimität der Regierung in Ost-Berlin nicht überzeugt sein kann, nichts tun, um die Staatsführung der DDR zu destabilisieren oder gar zu unterminieren. Das würde sowjetische Gegenmaßnahmen auslösen, und diese würden die Lage der Deutschen und ihre Verbindung untereinander zusätzlich erschweren.
    In einem anderen Punkt ist dagegen die Bundesregierung im Vergleich mit der DDR-Staatsführung benachteiligt. Die Truppen der Ost-Berliner Regierung – Nationale Volksarmee genannt – fallen gegenüber der Masse der Truppen, die der sowjetischen Führung im Osten Europas zur Verfügung stehen, kaum ins Gewicht; die Truppen der Volksarmee sind eher als bloße Hilfstruppen zu betrachten. Die Streitkräfte der Bundesrepublik bilden hingegen den Kern der westlichen Streitkräfte in Europa. Die Zahl der in
Europa stationierten oder im Mobilmachungsfalle nachzuführenden amerikanischen und englischen Truppen ist relativ gering, und die französischen Truppen sind der gemeinsamen Verteidigungsorganisation seit 1966 entzogen. Sie können, müssen aber nicht notgedrungen an der gemeinsamen Verteidigung mitwirken. Aus dieser Schlüsselrolle der Bundeswehr ergibt sich für die Bundesregierung ein beständiges Drängen unserer westlichen Verbündeten, unsere Truppen und ihre Ausrüstung zu verstärken. Auch aus diesen Gründen gibt es also keinen Raum für einseitige militärische Zugeständnisse der Bundesregierung an die sowjetische Staatsführung. Im Gegenteil: die seit vierzig Jahren bestehende zahlenmäßige Überlegenheit sowjetischer Truppen und ihrer mobilisierbaren Reserven in Europa verbietet jeden einseitigen Truppenabbau, um das ohnehin prekäre Kräfteverhältnis nicht zum Nachteil des Westens zu verschieben.
    Weil schließlich die Bundesregierung ständig um die menschliche, wirtschaftliche, kulturelle und politische Verbindung zum geographisch und militärisch isolierten Westteil der ehemaligen deutschen Hauptstadt besorgt sein muß und weil in puncto Berlin – selbst bei voller Einhaltung des Viermächteabkommens – vielerlei Möglichkeiten sowjetischer oder ostdeutscher Beeinträchtigung bleiben, so ergibt sich die bedrängende Frage: Auf welchen Gebieten, mit welchen Leistungen und Angeboten kann Bonn die Sowjetunion dazu bewegen, an einer allgemeinen Normalisierung der Verhältnisse
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